Takashi Iida
Ruppiner Bauernleben 1648–1806
Sozial- und
wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen einer ländlichen Gegend Ostelbiens
Aus der Schule von
Hartmut Harnisch ist die vorliegende Veröffentlichung hervorgegangen, deren
Grundlagen in einem Forschungsprojekt an der Humboldt-Universität zu Berlin in
den 1990er Jahren erarbeitet wurden. Der Autor lehrt an der Keio
Universität in Tokio, vergleicht ländliche Entwicklungen der frühen Neuzeit in
Japan und Preußen und arbeitet an der Veröffentlichung des Tagebuches eines
japanischen Bauern (1925-1975). Sein Quellenmaterial für das Ruppiner Bauernleben findet sich vor allem im
Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam und im Geheimen Staatarchiv Preußischer Kulturbesitz zu Berlin sowie in den
Pfarrarchiven Manker und Wustrau. Das Untersuchungsgebiet liegt etwa 80
Kilometer nordwestlich von Berlin.
Aufbauend auf seinen inhaltsreichen Aufsätzen »Konflikte um ›Egalisierung‹ in
der dörflichen Gesellschaft Ostelbiens im 18. Jahrhundert«, »Hof, Vermögen
und Familie 1700—1820: Die brandenburgischen Dörfer Manker und Wustrau (Kreis Ruppin) im Vergleich« und
»Wiederverheiraten und Verwandtschaftsnetze auf dem unteilbaren Hof: Bauern,
Büdner und Einlieger des brandenburgischen Amtes Alt-Ruppin
im 18. Jahrhundert«, schafft Iida einen sehr
wichtigen Bezugspunkt im Kontext der neueren brandenburgischen regional- und mikrogeschichtlichcn Forschung. Nach einer Einführung zur
»bäuerlichen Vermögensentwicklung im Vergleich der Orte und der sozialen
Schichten« handelt er seine Schwerpunkte »Bäuerliche Land- und Hauswirtschaft«,
»Bauernwirtschaft unter der Gutsherrschaft«, »Ressourcenverteilung unter der
Hofunteilbarkeit« und »Bauern in der dörflichen Besitzungleichheit« detail- und
kenntnisreich ab.
Willkommen sind lidas Ergebnisse zum bäuerlichen
Haushalt. Er schließt sich der Auffassung an, dass die Bilder vom Bauernleben
nicht mehr denen G.F. Knapps
entsprechen, sondern dass die Bauern dort mehr leisteten, wo ihnen einsichtige
Domänenpächter und Gutsherren die nötigen, wenn auch kleinen Spielräume
verschafften. Im Mittelpunkt steht der »unteilbare Hof«. Anders als J. Peters
geht der Autor jedoch nicht davon aus, dass sich diesem alles unterordnete,
sondern dass die familiären Beziehungen so »verwickelt und vielschichtig«
waren, dass »die Einzelnen, die Familien, aber auch die weiteren
Verwandtschaften je eigene Interessen und Strategien entwickelten, die
keineswegs immer miteinander vereinbar waren«.
Um die Sozialverhältnisse in ihrer Komplexität zu erfassen, werden mehrere
Konfliktfälle betrachtet. Als Quellen dienen Eingaben an die Obrigkeit,
Protokolle und obrigkeitliche Vernehmungen der von den Auseinandersetzungen
Betroffenen, obrigkeitliche Gutachten und Resolutionen. Die Betrachtung dieser
Konfliktfälle wird »mit den quantitativen bzw. systematischen Analysen der
Bauernwirtschaft verflochten«. Zentrale Quellen dafür sind wiederum Hofbriefe
sowie Grund- und Hypothekenakten. Das fruchtbare Domänendorf Manker mit seinen
im ausgehenden 17. Jahrhundert abgelösten Frondiensten sowie dem 1764
erteilten erb- und eigentümlichen Besitz und das wenig fruchtbare Adelsdorf
Wustrau mit seinen über
1800 hinaus bestehenden Frondiensten bilden die Pole der Untersuchung.
Was die Siedlung und die soziale Entwicklung betrifft, stellt Iida für das Recherchegebiet eine hohe Kontinuität des
Bauern- und Kossätenbesitzes einerseits und eine im 18. Jahrhundert
zunehmende Differenzierung durch Büdner und Einlieger andererseits fest. Der Eindruck einer stabilen Lage der Hofbesitzer verstärkt sich durch
den hohen Anteil an Lehnschulzen. Insgesamt nahm zwischen 1624 und 1800 die
Bauernzahl zu, die Menge der Kossäten erreichte ihren Höhepunkt im 16. Jahrhundert und verringerte
sich zwischen 1750 und 1800. Büdner wurden im 18. Jahrhundert neu
angesiedelt, und ihr Bestand hielt sich stabil, die Zahl der Einlieger schoss
zwischen 1624 und 1800 empor. Wie Iida belegen kann,
gingen Büdner oft zur Arbeit in die Fremde, um jeweils zur Erntezeit wieder in der Heimat zu erscheinen.
Im Abschnitt »Agrarproduktionen und -markte« präsentiert Iida
die Aussaatmengen und Ernteerträge. Sehr interessant ist dabei, dass zwischen
1687 und 1797 bei einem Drittel der Dörfer eine Verbesserung der Bodenklasse
erreicht wurde. Während die Angaben zur Vermarktung des Alt-Ruppiner
Getreides eher allgemeiner Art sind, legt lida zum
Tabakanbau 1801 detaillierte dorrbezogene Daten über
Erträge, Preise und Gewinne vor. Heuertrag und
Viehbestand waren eng verbunden. Überraschend ist der hohe Schafbestand bei den
Bauern. Ochsen waren neben den Pferden wichtig als Zugtiere. Kühe und Schweine
gab es besonders in den Dörfern der Bodenklasse I. Die Viehmast nahm zu, die
Pferdezucht wurde verbessert. Manker erwarb den Rufeines
besonders gut entwickelten Dorfes.
Das Kapitel »Bäuerliche Land- und Hauswirtschaft« zeigt die Haushaltsstruktur
und Arbeitsorganisation. Die Haushaltgrößen werden
für 1764, 1770 und 1776 sehr gut verdeutlicht. Die übliche Einteilung nach
Wirten, Kindern unter und über zwölf Jahren, alten Eltern und Hausleuten
ermöglicht zudem Vergleiche mit anderen Gebieten. Die Notwendigkeit der
Frondienstleistung bedingte hier nach lida nicht
mehr, sondern weniger Gesinde. Diese Schlussfolgerung überrascht, ist auch
einleuchtend, wird aber nicht überall zu ziehen sein. In »Bilanz der
Bauernwirtschaft« zeigt lida am Beispiel des Bauern
Caspar Thiele 1751 Ausgaben und Einnahmemöglichkeiten eines
Eineinhalb-Hufen-Hofes im »benachteiligten« Molchow.
Es gab keinen Weizenanbau, 39 Taler Gewinn standen im Jahr 38 Talern Kosten
gegenüber. Der Wert des Hofes einschließlich seiner Tiere ist mit 42 Talern angegeben. Auch hier
sind Vergleiche möglich (L. Enders).
Mit den gewonnenen Daten betrachtet der Autor die »Bauernwirtschaft unter Gutsherrschaft«,
wobei er zu Recht den Unterschied von lassitischem und erb- und eigentümlichem Besitz
betont. Der preußische Staat bot das bessere Recht an, um sich eine Einnahmequelle zu schaffen und sich von Kosten zu
entlasten. Die Bauern und Kossäten sollten ermuntert werden, für ihre Stellen etwas zu tun, um sie
den Nachkommen »in gutem Stande und ohne Schulden« zu übergeben. Diese Vergabe
erwies sich indes als schwierig, weil eben der erb- und eigentümliche Besitz
mit der Übernahme erhöhter Kosten durch die Bauern verbunden war. 1732
bezeichneten sechs der Alt-Ruppinschen Dörfer die
Umwandlung als nicht tragbar, und nur eine kleine Zahl bereits relativ gut
gestellter Bauern verbesserte ihr Besitzrecht. Bei einem erneuten Anlauf 1764
nahmen 16 Dörfer das neue Besitzrecht an, während zehn die Annahme weiterhin
verweigerten. Zentrale Punkte - so das Ergebnis Iidas
– waren das zu kaufende Bauholz und die fehlende Möglichkeit der Erbteilung der
Stellen. Selbst 1777 erklärten sich diese Dörfer trotz weiterer Anreize nicht
interessiert, die Verhandlungen kamen erst 1804 zu einem Abschluss. An zwei
Exmittierungen zeigt lida, wie die Herrschaft
Untüchtige durch Tüchtige ersetzte. Lassbauer und
Erbkossäte wurden gerichtlich über ihre schlechte Wirtschaftslage verhört.
Beide wurden exmittiert, obwohl dem Erbkossäten nach geltendem Recht die Stelle
schwerer zu nehmen war und er bessere Aussichten auf eine Stabilisierung seiner
Wirtschaft erkennen ließ. Das Domänenamt hatte offenbar genügend potentielle
Nachfolger.
Im Abschnitt »Bäuerliche Familie und Verwandtschaft« seziert lida die Hofvererbung. Volljährigkeit musste gegeben sein,
Befreiung vom Militärdienst eingeholt werden, Miterben mussten abgefunden und
Altenteile festgesetzt werden. Bei der Partnerwahl waren gegebenenfalls
Regelungen für das Einheiraten zu treffen. In den Kirchenbüchern ließ sich
Geburtenbeschränkung im Zusammenhang mit Verbesserung des Erbrechtes nicht
nachweisen. Denn lida kann zeigen, dass die
Bauernpaare in Manker ab 1761 ihre Kinderzahl »nicht verminderten, sondern im
Gegenteil sogar erhöhten, dass sie ferner so viele Kinder wie die durchgehend lassitisch gebliebenen Wustrauer Lassbauern hatten«. Ebenso interessant ist, dass die Paare
»in beiden Dörfern kinderreicher als die der unteren Schichten waren«.
Das Kapitel »Bauern in der dörflichen Besitzungleichheit« vertieft den Einblick
in die unterschiedlichen Interessenlagen im Dorf und ihre Folgen.
Konfliktträchtig waren die Anträge schlechter gestellter Bauern und Kossäten
auf einen Ausgleich in Besitzgröße und Frondienstbelastung (Egalisierung), sie
scheiterten mehrfach am Eigennutz der tüchtigen Erbbauern. Erfolgreicher lief
dies in den benachteiligten lassitischen Dörfern.
Wichtiges Ergebnis ist, dass Bauern ihre Exklusivität gegen Büdner und Einlieger verteidigten. Sie
versuchten, die durch das Domänenamt betriebene Ansied-lung
von Büdnern und Einliegern zu verhindern, wenn es nicht gerade um eigene
Verwandte ging.
In Ruppin waren – so das Gesamtergebnis lidas – »zwischen 1648
und 1806 beachtliche Entwicklungen der Bauern Wirtschaft zu beobachten«. Mit
dem Abbau von Domänenvorwerken ließen sich Frondienste in Dienstgeld umwandeln,
was diesen Aufschwung förderte. Die Getreidepreise entwickelten sich zudem im
18. Jahrhundert günstig. Manker profitierte davon besonders, das schlechter gestellte Wustrau fiel
weiter zurück. Insgesamt nahm die latente Konkurrenz um den Holbesitz zu.
In seiner Kombination aus Bestätigungen der Verhältnisse und Entwicklungen in
anderen Teilen Brandenburgs und zahlenreichen neuen Details stellt das Buch
eine große Bereicherung der Forschung dar. Es ist eine methodisch vielfältig
angelegte Untersuchung brandenburgischer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die
stark auf die Bauern konzentriert ist und
in der Konflikte mit der Herrschaft zurücktreten. Hier zeigt sich lokale
ländliche Vielfalt, die sich trotzdem in
das brandenburgische Gesamtbild einfügt. Die Untersuchung ist durch sehr
aussagekräftiges Datenmaterial getragen. Die Publikation enthält 34 Tabellen,
die das, was erörtert wird, konzentriert wiedergeben. Das umfangreiche Quellen-
und Literaturverzeichnis zeigt die Kenntnisbreite des Autors.
Heinrich Kaak, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, 2011
Ähnlich auch in: Jahrbuch für
die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 58, 2012