Felice Fey
Roger Loewig
Eine Biographie
Roger Loewig,
1930 geborener Schlesier, Maler, Zeichner und Dichter, hat vor bald einem
halben Jahrhundert in Brandenburg Wurzeln geschlagen, zunächst nur
vorübergehend, aber seit 2009, zwölf Jahre nach dem Tod des Künstlers,
dauerhaft. Das ist unmittelbar in einem kleinen Museum zu erleben, das ein
Freund, Wolfgang Woizick, ihm in seinem schönen Haus
in Bad Belzig hoch über dem Bahndamm mit einem anheimelnden Blick auf die Stadt
eingerichtet hat, eine Idylle, die ein mildes Licht auf ein schwieriges Leben
wirft, und dazu ein Freundschaftsbeweis von geradezu antiker Größe.
Kaum ein anderer deutscher Künstler hat die unmittelbar erlebten Folgen des »Dritten
Reiches« und des Zweiten Weltkrieges einschließlich der deutschen Teilung so
wie er mit wachem, jede Künstlereitelkeit
ausschließenden Gewissen zum alleinigen Gegenstand seines Schaffens gemacht. Der
Schrecken gebiert eine eigene Art von Schönheit, die im Tiefsten berührt.
Vergleichbar lediglich Käthe Kollwitz und Ernst Barlach, die freilich einer
älteren Generation angehören, wird man seine Kunst nicht mit dem Markenzeichen »modern«
versehen, sondern als menschlich mitfühlend bezeichnen können. Was Loewig geprägt hat, waren in höchstem Maße gegensätzliche
Kräfte: Auf der einen Seite der Rückfall in eine zunächst für unmöglich
gehaltene Barbarei nach 1933 und auf der anderen Seite die seismographisch
schon früh das Unheil ahnenden und Widerstand
leistenden Persönlichkeiten. Da Loewigs Kunst nicht
naturhafte Entfaltung einer Begabung, sondern Reaktion auf ein übermächtiges
Zeitgeschehen ist, benötigt sie zu ihrem Verständnis
eine Darstellung der Biographie mit all ihren Verflechtungen. Sie liegt nun als
eine rundum befriedigende Leistung und in einer dem Wesen des Künstlers
angemessenen noblen Gestaltung mit guten Abbildungen vor.
Die Autorin gehört einer jüngeren Generation an, hat Roger Loewig
nicht persönlich gekannt, sich aber durch die Sichtung seines im Archiv der
Akademie der Künste bewahrten schriftlichen Nachlasses die Kompetenz für diese
Arbeit erworben. Sie hat alle ihr erreichbaren
Zeitzeugen befragt und im Zusammenwirken von zeitlicher Distanz und
Einfühlungsvermögen in eine gern verdrängte schlimme Vergangenheit, dazu der
Fähigkeit, bildliche und dichterische Aussagen zu lesen, eine als mustergültig
zu bewertende Arbeit vorgelegt.
Da Loewig die Sprache ebenso wie die gestaltende Hand
beherrschte, erhellen sich beide Bereiche wechselseitig, und nicht selten
hängen literarische und bildliche Äußerung engstens zusammen. Hinzu kommen
Texte, in denen der Künstler seine Ziele formuliert, und so ergibt sich ein
dichtes, in sich völlig stimmiges Gefüge von Handeln und Sichverhalten
im Leben einerseits und im künstlerischen Schaffen andererseits…
Auf den Bau der Berliner Mauer und die mit Waffengewalt durchgesetzte totale
Abschottung der DDR gegen den Westen reagierte Loewig
zusammen mit gleichgesinnten Freunden durch Vorbereitungen eines Widerstandes
nach dem Vorbild der Verschwörer gegen Hitler. Loewig
prangerte die Unmenschlichkeiten im Zusammenhang mit dem Mauerbau in
Zeichnungen an, die er für einen kleinen Kreis in einem evangelischen
Pfarrhaus ausstellte. Davon erfuhr das Ministerium für Staatssicherheit, was
1963 zur Verhaftung und einjähriger Untersuchungshaft unter entwürdigenden
Bedingungen führte. Was den Zweck verfolgte, den Charakter zu brechen, führte
zu seiner Festigung und später zu einer Steigerung der künstlerischen
Ausdruckskraft. Gegen Zahlungen der Bundesrepublik unter Einschaltung der Evangelischen Kirche wurde Loewig
nur zu einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe verurteilt, verlor jedoch seine
Stellung als Lehrer und machte nun die bildende Kunst zu seinem Hauptberuf. Die
DDR zu verlassen, konnte er sich nicht entschließen…
Dennoch empfand er den auf ihm lastenden Druck der politischen Verhältnisse mit
der Zeit als unerträglich und entschloß sich zur
Übersiedlung nach West-Berlin, was ihm und Crescentia Troike 1971 gewährt wurde. Innerlich blieb er der alten
Heimat eng verbunden, verweigerte sich jeglichem Erfolg verheißendem
Opportunismus und distanzierte sich ebenso von den Strömungen der
Achtundsechziger wie von den Mechanismen des offiziellen Kunstbetriebes im Westen…
Den Zusammenbruch der DDR 1989, die deutsche Einigung und mit ihr die Möglichkeit, sich wieder frei überall bewegen zu
können, empfand er als unerwartetes großes Geschenk, aber bald sah er die neuen
Bedrohungen der Menschlichkeit. Am 4.November 1997
starb er. Seine Lebenserfahrung und die einer ganzen Zwischengeneration, die
weder aktiv am Kriegsgeschehen noch am Widerstand gegen das NS-Regime, aber am
Wiederaufbau nach 1945 beteiligt war und daher weiß, was Krieg ist, drohen in
Vergessenheit zu geraten, weil die von Frieden und Wohlstand begünstigten Jüngeren
zwangsläufig die Welt mit anderen Augen sehen. Daß
Felice Fey als eine Vertreterin eben dieser neueren Generation Loewigs Biographie geschrieben hat, erhöht ihren Wert, und es ist zu hoffen, daß
damit auch der hohe Rang des Künstlers besser als zur Zeit erkannt wird. Es
geht nicht darum, Loewig für die Strategien des
Kunsthandels nutzbar zu machen, sondern seiner mahnenden Stimme Gehör zu
verschaffen. Damit rückt die Frage in den Vordergrund, warum die Menschlichkeit
einfordernde Kunst einer Käthe Kollwitz und eines Ernst Barlach akzeptiert
wird, die Roger Loewigs jedoch kaum. Dieser Frage
nachzugehen, hilft, den gegenwärtigen Zustand der Kultur zu erkennen.
Helmut Börsch-Supan, in: Jahrbuch für
brandenburgische Landesgeschichte, 63. Band (2012)