Fritz Reinboth (Hg. und Bearb.)

Johannes Letzner: Die Walkenrieder Chronik

Chronica und historische Beschreibung des löblichen und weitberümbten keyserlichen freien Stiffts und Closters Walckenrieth (1598). Nach dem Original der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover
(= Harz-Forschungen 16)

 

 

Die bisher nur in zwei handschriftlichen Originalen in der Landesbibliothek Hannover überlieferte Walkenrieder Chronik des Johannes Letzner liegt seit 2002 nunmehr in einer von Fritz Reinboth bearbeiteten historisch-kritischen Edition vor. Reinboth hat für seine Ausgabe aus nahe liegenden Gründen nicht die ältere Fassung von 1595, sondern die jüngere, von Letzner aktualisierte aus dem Jahre 1598 ausgewählt und durch einen Anhang ergänzt, der eine Konkordanz der Kapitel beider Manuskriptfassungen, einige Auszüge und Varianten des älteren Textes, Kommentare des wie Letzner aus Hardegsen stammenden Nordhäuser bzw. Walkenrieder Reformators und Chronisten Cyriacus Spangenberg aus den Jahren 1595-98 sowie einen kurzen Passus aus der 1710 von Leuckfeld zum Druck beförderten Loccumer Chronik Letzners enthält.
Womit nun läßt sich die Herausgabe dieses Werkes des notorischen Vielschreibers und unkritischen Kompilators oft zweifelhafter und legendarisch verbrämter historischer Nachrichten begründen? Reinboth führt in seiner Einleitung an, daß zumindest die aus eigener Anschauung Letzners gespeisten Angaben über äußere Einrichtung und innere Verfassung des Stifts erwiesenermaßen als zuverlässig gelten können. Dazu gehören beispielsweise die Beschreibungen der Gebäude des Klosterbezirks, der Wasserleitung oder der Brauerei, der Klosterschule und die Wiedergabe der Polizeiordnung für die Dörfer Zorge und Hohegeiß. Gespickt mit Irrtümern, Mißverständnissen und Verdrehungen ist dagegen alles, was mit der älteren Geschichte Walkenrieds oder gar dessen Gründung zu tun hat, dies gilt auch und besonders für die rechtsgeschichtlichen Aspekte. Unerquicklich ist überdies die Lektüre der oft sehr langatmigen moralisierenden Passagen, die der Hardegser Prediger immer wieder in die Darstellung eingeflochten hat. Das Verdienst des Bearbeiters besteht mithin vor allem darin, ein in vielfacher Hinsicht zeittypisches Dokument frühneuzeitlicher Historiographie sorgfältig und formal einwandfrei ediert und damit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben.

Die Geschichte des Stifts Walkenried ist im Übrigen gut erforscht. Dazu hat Fritz Reinboth, ein Liebhaber seiner engeren Heimat, selbst durch eine Reihe von kleineren Schriften, die sich zumeist mit Einzelaspekten (wie etwa der Trinkwasserversorgung) befassen, in verdienstvoller Weise beigetragen. Die erstaunliche Produktivität des Walkenrieder Heimatvereins ist ganz wesentlich auf seine Mitwirkung zurückzuführen. Die vorliegende Quellenedition ist ein weiterer Beweis dafür.

Cord Alphai in: »Niedersächsische Jahrbuch, Bd.11/2005

 

Das ehemalige Zisterzienserkloster Walkenried am Harz, gelegen im Grenzraum der heutigen Länder Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, erfreut sich in den letzten Jahren verstärkt der Aufmerksamkeit der landesgeschichtlichen Forschung. Nachdem kürzlich der erste Band des neubearbeiteten Walkenrieder Urkundenbuches erschienen ist, folgt nun fast zeitgleich die Edition einer erzählenden Quelle, der Chronik des im heutigen Südniedersachsen beheimateten Pfarrers Johannes Letzner aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert.
Johannes Letzner (1531–1613) hat in der Historiographie keinen guten Ruf hinterlassen. Offenbar von Jugend an historisch interessiert, begann er etwa 1576 mit der Arbeit an einer Chronik der braunschweigisch-lüneburgischen Lande, die schließlich acht Bücher umfassen sollte. Das Werk in seiner Gesamtheit blieb ungedruckt. 1601 konnte Letzner ein Inhaltsverzeichnis veröffentlichen, einige Teile erschienen in anderen Zusammenhängen noch zu seinen Lebzei­ten oder nach seinem Tode. Das dritte Buch des Gesamtwerkes war den Klöstern und Stiften der welfischen Lande gewidmet. Im Manuskript, das in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel überliefert ist, fehlt das Kapitel über Walkenried, welches aber in zwei Versionen in der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover erhalten ist. Die in das Jahr 1598 zu datierende jüngere Fassung bildet die Grundlage der vorliegenden Edition.
Doch nicht die Tatsache, daß das ambitionierte Werk der Gesamtchronik trotz des langen Lebens des Chronisten unvollendet geblieben ist, begründete das kritische Urteil der Nachwelt, sondern das methodische Vorgehen Letzners. Zwar beruhen seine Angaben auf umfangreichen Archivstudien – allein in einer Zeit ohne Pfarramt zwischen 1579 bis 1582 will Letzner mehr als hundert Stifte, Klöster und Kirchen besucht haben –, doch wurde das Material mehr oder weniger unkritisch aneinandergereiht. Hinzu kommt ein ausgeprägtes genealogisches Interesse, das in manchen seiner Werke zu gewagten Spekulationen verführte. Auch wenn die Forschung Letzner kaum bewußte Fälschungen zutraut, so gelten doch seine Angaben als unzuverlässig. Dennoch sind seine Darstellungen nicht ohne Wert, wie der Herausgeber in seiner Einleitung herausstellt. Viele der Angaben beruhen auf heute verlorenen Quellen, die Schilderungen aus seiner eigenen Zeit vermitteln ein lebendiges Bild.
Die Gliederung der Chronik, insgesamt 46 Kapitel, zeigt recht gut die – für frühneuzeitliche gelehrte Chronisten nicht untypische – Arbeitsweise Letzners. Auf Überlegungen zur Herkunft des Namens folgt die Gründung des Klosters durch Adelheid, die Frau des Grafen Volkmar von Klettenberg, danach die Ausstattung des Klosters durch die Stifter, schließlich Urkunden von Kaisern und Königen, Päpsten, Erzbischöfen und Bischöfen, weiteren geistlichen Würdenträgern, von weltlichen Fürsten und Adligen und schließlich städtischen Bürgern an das Kloster. Innerhalb der Kapitel reiht sich Urkunde an Urkunde, meist in Paraphrase, gelegentlich auch als Volltext, besonders bei denjenigen des 16. Jahrhunderts. Verbindende Texte des Chronisten sind nur knapp gehalten; gelegentlich finden sich Ansätze zur Kritik des Gefundenen, etwa, wenn Letzner unter verschiedenen Zahlen das Gründungsjahr bestimmen muß, doch reicht sein methodisches Rüstzeug nicht für echte eigenständige Überlegungen aus – im vorliegenden Fall entscheidet er sich kurzerhand für das älteste Datum.
Mit Kapitel 17 beginnt ein systematischer Teil, der die Nachrichten zur Baugeschichte, zum Gottesdienst und – ein besonderes Interesse des Autors – zur Klosterschule wiedergibt. Angereichert durch eigene Beobachtungen des Chronisten gewinnt die Schilderung an Farbigkeit. Ein Kernstück der Chronik bildet die Abtsliste, an die sich Nachrichten über andere Klosterinsassen anschließen. Verschiedene Kapitel zur Vogtei und Stiftshauptmannschaft, zu wirtschaftlichen Aspekten, zu den in der Chronistik unverzichtbaren Katastrophen bis hin zu Mißgeburten ergänzen das Werk, das sich schließlich noch der Reformation in Walkenried widmet. Den Abschluß bildet ein Kapitel zu den Begräbnissen im Kloster – für die moderne Forschung insofern besonders interessant, als der Chronist darin die zu seiner Zeit vorhandenen Grabinschriften mitteilt.
Wie vielen seiner Zeitgenossen, so gelingt es auch Letzner trotz gewisser Ansätze nicht, die Einzelinformationen zu einem durchkomponierten Ganzen zu vereinen, so daß die Chronik letztlich ein Sammelsurium bleibt. Auf der anderen Seite erweist sich der Chronist als guter Beobachter und wohl auch Zuhörer, so daß der Quellenwert der das 16. Jahrhundert betreffenden Teile auch in der Walkenrieder Chronik nicht gering zu schätzen ist. Gelegentlich gelingen dichte Beschreibungen, wie etwa zu den Feierlichkeiten beim Begräbnis des letzten Grafen von Honstein 1593 oder zur Zerstörung der Klosterkirche durch die aufständischen Bauern 1525.
Der Herausgeber bietet den Text der Chronik in einer weitgehend buchstabengetreuen Übertragung mit einigen geringen Zugeständnissen an die Lesbarkeit für ein heutiges Publikum. Durchgehend modernisiert wurde allerdings die Groß- und Kleinschreibung. Einige Streichungen und Ersetzungen werden im Text und in den Fußnoten aufgezeigt; an einer Stelle wurde auf dem Abdruck eines längeren lateinischen Textes verzichtet, da er bereits an anderer Stelle ediert ist und Letzner eine deutsche Übersetzung hinzugefügt hat. Dem eigentlichen Text folgt ein Anhang mit einer Konkordanz der Kapitel der beiden erhaltenen Manuskriptfassungen, Auszügen und Varianten aus der älteren Fassung, die in der edierten jüngeren nicht mehr enthalten sind, und einem Auszug aus dem Kommentar von Cyriacus Spangenberg zu Letzners Manuskriptentwurf, der eigentlich in die Einleitung gehört hätte. Alles in allem bietet Reinboth eine Textfassung, die sowohl für die Forschung zitierfähig als auch für ein breiteres Publikum lesbar ist, denn auch für dieses ist die Edition konzipiert, wie die gleichzeitige Aufnahme des Werkes in die Schriftenreihe des Vereins für Heimatgeschichte Walkenried und Umgebung zeigt.
Aus Sicht der landesgeschichtlichen Forschung bleiben allerdings einige Wünsche offen. So ist die Einleitung des Herausgebers etwas knapp geraten. Die Bemerkungen zur Entstehung des Textes und zu den verschiedenen Korrekturen hätte man sich gern ausführlicher gewünscht; in der vorliegenden knappen Form sind sie für den Nicht-Spezialisten gelegentlich etwas schwer verständlich. Des weiteren wäre auch eine weitergehende Kommentierung hilfreich gewesen. Reinboth beschränkt sich bewußt auf textkritische Anmerkungen und wenige Erläuterungen, die der Verständlichkeit des Textes dienen sollen. Gerade bei den aus der Urkundenüberlieferung kompilierten Teilen würden Hinweise auf das Original, den Druckort und auf mögliche Fehler Letzners die Arbeit mit der Edition erleichtern. Zwar lag dem Herausgeber das neu bearbeitete Urkundenbuch von Josef Dolle noch nicht vor, aber auch der Rückgriff auf die ältere Edition von Grotefend wäre schon hilfreich gewesen. Freilich soll nicht verkannt werden, daß eine solche Kommentierung, wenn sie einigermaßen aussagefähig sein soll, einen erheblichen Arbeitsaufwand bedeutet und das Erscheinen der Edition wohl maßgeblich verzögert hätte. So ist die Entscheidung des Herausgebers zu respektieren, und jeder, der sich mit der Geschichte Walkenrieds und des südlichen Harzraumes beschäftigt, wird ohnehin dankbar sein, den Text einer der wichtigsten frühneuzeitlichen Chroniken zur Klostergeschichte endlich mühelos in einer modernen Edition benutzen zu können.
Michael Scholz, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 50/2004, S. 411–413

 

Die niedersächsische Historiographie des 16. und 17. Jahrhunderts ist bisher noch wenig untersucht, obwohl sie eine größere Zahl von Chronisten hervorgebracht hat. Der produktivste frühneuzeitliche Geschichtsschreiber Südniedersachsens, Johannes Letzner aus Hardegsen (1531–1613), hat immerhin eine ausführliche kritische Würdigung erfahren […]. Obwohl nur einfacher Pfarrer mit bescheidenem Einkommen, war er erstaunlich belesen, ein Forscher von enormem Fleiß, der keine Mühe scheute, an Quellen der verschiedensten Art heranzukommen. Bis ins hohe Lebensalter hat er sich auf zahlreichen Reisen Zugang zu Kloster- und Adelsarchiven verschafft. Zudem konnte er sich durch die Bekanntschaft mit vielen historisch interessierten Persönlichkeiten umfangreiches Material erschließen, das später zum großen Teil verloren gegangen ist. Sein Hauptwerk sollte eine Braunschweigisch-Lüneburgische Chronik werden, die sich zum Ziel setzte, die niedersächsischen Bistümer und Erzbistümer, die einzelnen Klöster, Stifte und Kirchen, die Fürstentümer und Grafschaften, einzelne Adelsgeschlechter, Städte und Flecken sowie Bergwerke und Flüsse zu behandeln. Sie mußte ungedruckt bleiben, doch erschienen noch zu Lebzeiten Letzners einige Spezialuntersuchungen. Auch nach seinem Tod wurden seine Abschriften immer wieder benutzt und zum Teil publiziert. Letzners Arbeiten sind jedoch zu Recht kritisiert worden, da er über das Sammeln und Aneinanderreihen von Nachrichten nicht hinausgekommen ist und den Stoff nicht wirklich durchdrungen und gestaltet hat. Zudem sind seine Quellenauszüge aufgrund von Lesefehlern und Versehen bei Datierungen häufig ungenau, so daß eine Kontrolle von anderen Seite notwendig ist. Allerdings muß betont werden, daß er keine Nachrichten erfand oder fälschte.

Von Letzners Walkenrieder Chronik sind zwei Autographen in der Niedersächsischen Landesbibliothek erhalten. Die ältere Version entstand nach einem Besuch des Klosters im Jahre 1594 und wurde zur Korrektur an den Theologen und Historiker Cyriacus Spangen­berg sowie an den damaligen Rektor der Klosterschule und späteren Prior Heinrich Eckstorm übergeben. Die jüngere Fassung aus dem Jahre 1598 verarbeitet diese Verbesserun­gen und wurde bis zuletzt aktualisiert. Eine Veröffentlichung der Chronik durch Letzner selbst dürfte unterblieben sein, da sein wichtigster Gewährsmann Heinrich Eckstorm ver­mutlich bereits damals plante, eine eigene, sehr viel umfangreichere Walkenrieder Chronik in lateinischer Sprache herauszugeben, die 1617 erschien. Trotz der gänzlich anderen Glie­derung ist eine überaus starke Abhängigkeit zwischen Letzner und Eckstorm festzustellen. Ganze Verbände von Regestennotizen einschließlich ihrer Fehler finden sich beim einen wie in der Übersetzung des anderen. Knapp hundert Jahre später verfaßte Johann Hein­rich Leuckfeld mit den »Antiquitates Walckenredenses« eine weitere gedruckte Chronik über Walkenried. Wenn der heute wohl beste Kenner der Walkenrieder Geschichte, Fritz Reinboth, trotz aller oben genannten Mängel eine Edition der jüngeren Letznerschen Chronik vorlegt, so hat dies gute Gründe.

Zwar fand Letzner bei seinem Besuch vor Ort das Archiv nicht mehr vor, doch muß ihm gutes Abschriftenmaterial zugänglich gewesen sein. Anders ist die Fülle von regestenartigen Notizen, die sich bis auf wenige den heute noch erhaltenen Urkunden zuordnen las­sen, nicht zu erklären. Darüber hinaus zitiert er häufig chronikalische Eintragungen aus Missalbüchern, berichtet aus mündlicher Tradition und überliefert im Kloster angetroffene Inschriften. Letzner hat vieles überliefert, das im Original verloren gegangen ist. Zahlreiche Details, die Eckstorm für unerheblich hielt, sind von ihm liebevoll und ausführlich überlie­fert worden. Auch wenn die weitschweifigen Moralpredigten oder die häufige Aufreihung relativ belangloser Ereignisse auf den heutigen Leser ermüdend wirken, ist seine Chronik insbesondere für das 16. Jahrhundert eine Quelle ersten Ranges. Ihre Bedeutung wurde insbesondere von Karl Steinacker und Fritz Reinboth erkannt, die in mehreren Publikatio­nen auf sie zurückgriffen. Durch seine sorgfältige Edition hat Reinboth die Walkenrieder Chronik des Johannes Letzner nun einem weiten Publikum zugänglich gemacht.
Josef Dolle, in:
Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 84, 2003, S. 266.