E. Badstübner, G. Eimer, E. Gierlich, M. Müller (Hg.)

Licht und Farbe in der mittelalterlichen Backsteinarchitektur des südlichen Ostseeraums
(= Studien zur Backsteinarchitektur, Band 7)

 

Licht gehört in einem Raum zu den Selbstverständlichkeiten, über die man gemeinhin nur als planender Architekt nachdenkt, und Farbe ist in der Architektur der wohl vergänglichste Bestandteil, Farbe ist das Element eines Raumes, das dem häufigsten Wandel unterliegt, sei es aufgrund allgemeiner Verschleißerscheinung oder sei es durch den sich immer wieder wandelnden Geschmack. Damit sind bereits eine Reihe von Gründen angesprochen, warum Licht und Farbe in der Beschäftigung mit historischer Architektur nicht zu den tradierten Themen gehören. Da aber andererseits Licht und Farbe ganz wesentlich den Eindruck eines Raumes bestimmen, verändern und mit Leben erfüllen, ist es verständlich und erfreulich, daß sich eine Reihe von namhaften Forschern 2002 in Stralsund trafen, um sich anläßlich der 4.Internationalen Fachtagung zum Backsteinbau in den Ostseeregionen diesem Themenkomplex zuzuwenden. Im hier anzuzeigenden Band sind die wichtigsten Vorträge dieser Veranstaltung publiziert.
In fünf unterschiedlich umfangreichen Hauptkapiteln – Grundlagen, Sakralarchitektur und Lichtführung, Strukturen der Farbigkeit, Bildhaftigkeit im Kirchenbau und Neue Leitbilder – beschäftigen sich die vierundzwanzig Autoren und Autorinnen mit teilweise sehr unterschiedlichen Aspekten der übergeordneten Fragestellungen und fassen diese, völlig berechtigt und das Ergebnis bereichernd, sehr weit – als Beispiel dafür sei MATTHIAS MÜLLER mit seinem Beitrag: Farbe und Gedächtnis. Zur memorativen Funktion mittelalterlicher Materialästhetik in der Backstein- und Feldsteinarchitektur des südlichen Ostseeraums angeführt, der überwiegend anhand von vorpommerschen Dorfkirchen den bisher wenig thematisierten Aspekt der Beibehaltung älteren Materials bei Kirchenbauten in ideengeschichtlicher Hinsicht hinterfragt.
Doch nicht nur er legt seine Thesen anhand pommerscher Beispiele dar: GERHARD EIMER zieht bereits in seiner Einführung den Greifswalder Dom St. Nikolai als Beispiel heran, MAREK OBER thematisiert anhand der St. Mauritiuskirche in Pyritz die Raffinierte Lichtführung in reduzierter Architektur und JAROSLAW JARZEWICZ stellt die »Lichtführung als Bauaufgabe« anhand von Beispielen des Ostseegebietes dar, neben der Pyritzer Mauritiuskirche benennt er dabei vor allem die Stettiner Jakobikirche. ULRIKE GENTZ beschäftigt sich mit dem Thema Zur Lichtführung in den Hinrich Brun-berg zugeschriebenen Hallenumgangschören und räumt dabei der Stargarder Marienkirche breiten Raum ein. Unter anderen die Marienkirchen in Stargard, Stettin, Anklam und Stralsund, die Nikolaikirche in Anklam, sowie die Dome in Cammin und Kolberg werden im Beitrag von FRITZ WOCHNIK Zur Wechselwirkung von Glasmalerei und äußerer und innerer Farbfassung von Sakralbauten in der Mark Brandenburg und in den angrenzenden Territorien als Beispiele herangezogen. Andre Lutze stellt in seinem Beitrag Der vertikale Glasurwechsel im Greifswalder Backsteinbau des 13. Jahrhunderts die drei Stadtpfarrkirchen der pommerschen Hansestadt in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen.
Über diese Beiträge mit unmittelbarem pommerschen Bezug bieten nahezu alle Beiträge des interessanten Bandes entweder wichtige Grundlagen für die Beschäftigung mit mittelalterlicher Architektur in Norddeutschland dar – genannt werden muß hier besonders JENS-CRISTIAN HOLST Material und Farben mittelalterlicher Backsteinarchitektur im südlichen Ostseeraum – oder sie liefern bedenkenswerte Vergleichsbeispiele und Anregungen. Bedauerlich ist nur, daß die Qualität der Abb. vielfach nicht der der Texte entspricht.
Sabine Bock in: »Baltische Studien«, Neue Folge, Bd. 91/2005

 

Die konsequente und befundorientierte Auseinandersetzung mit dem mittelalterlichen Backsteinbau im Ostseeraum ist einer der großen wissenschaftlichen Gewinne der Nachwendezeit, dessen Ertrag im wesentlichenen in der hier angezeigten Publikationsfolge dokumentiert ist. Manches liebgewordene Vorurteil – so etwa die Vermutung, der Backsteinbau sei der notgedrungen in Kauf genommene Ersatz für den eigentlich gewollten Naturstein in einem an natürlichen Baurohstoffen armen Land – wurde schon früher und wird hier nochmals korrigiert. Diese Themen noch einmal \im Zusammenhang aufzugreifen und weiter zu entwickeln, ist eines der Verdienste des nun vorliegenden siebten Bandes der Reihe. Der Titel deutet schon den weiten Bogen an, der dann auch von den Autoren nach allen Seiten gedehnt wird. Neben Fragestellungen, die sich stark auf Deutungsversuche konzentrieren nimmt die befundorientierte Materialvorlage durch die Riege der jüngeren, in der Bauforschung engagierten Autoren einen breiten Raum ein […].
Die Auseinandersetzung mit der Farbigkeit thematisiert zunächst die Folge oder vielmehr das Nebeneinander von Feldstein und Backstein (Matthias Müller), sodann die immer weiter differenzierte Binnengliederung der ja grundsätzlich etwas zur Eintönigkeit neigenden Backsteinflächen (Kazimierz Pospieszny, Dirk Schumann, Andre Lutze) sowie schlußendlich die farbige Fassung (Ernst Badstübner für den Außenbau, Christopher Herrmann und Fritz Wochnik für den Innenraum). Gerade hier sind die vielen Farbtafeln, die oft Funde aus der jüngeren Zeit dokumentieren und deswegen in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen sind, von besonderem Nutzen. Bei dem interessierten Leser und Forscher wächst nach weiteren Tagungen zur Farbigkeit brandenburgischer Kirchen und einer breiten Materialvorlage zur Heilig-Geist-Kapelle in Berlin {Die Heilig-Geist-Kapelle in Berlin, Petersberg 2005) das Verlangen, alle diese interessanten Erkenntnisse einmal systematisch aufgearbeitet und zusammengefaßt zu sehen. Diesem Anspruch kann der vorliegende Tagungsband naturgemäß nicht genügen.

Dem weiten Feld des Lichtes in der gotischen Backsteinarchitektur widmen sich etwa zwei Drittel der Aufsätze. Von der Betrachtung der Hagioskope über die Lichtinszenierungen auf der Marienburg bis zur Lichtmetaphysik) reichen die Beiträge, die der Sache entsprechend im Vergleich mit den Befundartikeln einen höheren interpretatorischen Anteil haben. Diese Heterogenität im Methodischen irritiert in der systematischen Durcharbeitung des voluminösen Bandes bisweilen etwas, schmälert aber den wissenschaftlichen Beitrag zu einem höchst aktuellen Forschungsfeld in keiner Weise.
Johannes Cramer in: »architectura«, Heft 2/2005

Als die Fenster größer wurden, da nahm gleichzeitig die Dunkelheit der Farbverglasung proportional zu, bemerkte einmal Louis Grodecki über die Bauten des französischen Kronlandes im Zeitraum zwischen 1140 und 1240. [1] Die Vergrößerung der Fenster machte die Räume hier also nicht heller, sie ermöglichte allein eine größere Fülle farbigen Lichtes – wenn man Grodecki hierin folgen will. Denn der überkommene mittelalterliche Bestand ist mit gerade einmal drei Prozent noch hoch angesetzt und vergleichbare Untersuchungen liegen für andere Regionen nicht vor. Auch die systematische Untersuchung mittelalterlicher Farbfassungen ist ein vergleichsweise junger Forschungszweig. Auf der 4. Internationalen Fachtagung zum Backsteinbau in den Ostseeregionen (2002 in Stralsund) rückte Gerhard Eimer (Kopenhagen) beides ins Zentrum und gab der Tagung die beiden leitenden Fragen vor: ›Gab es in den Sakralräumen unseres Einzugsbereichs eine bewußte Lichtführung?‹ und ›War die Farbigkeit ein integrierender Bestandteil der Backsteinkunst?‹ [14]
Die Antworten auf die Frage der Lichtführung waren meist auf ein Gegenüber von Hell und Dunkel konzentriert: Kazimierz Pospieszny (Marienburg/Malbork) hob in seinem Beitrag über die Marienkirche der Marienburg hervor, daß dort der ›Lichteinfall der Verteidigungsfunktion übergeordnet‹ worden sei und stellte einen ›im Übermaß mit Licht durchfluteten‹ Chor einem geradezu verdunkelten Westteil der Kirche als ›ritterliches Schiff‹ gegenüber. Marek Ober (Stettin/Szczecin) beschrieb eine Kanalisierung des Lichts durch das große hohe Achsfenster im Chor der Mauritiuskirche in Pyritz nach einem Umbau: ›Der einst lichte Chor wurde nun indirekt beleuchtet […]. Die […] Ostfenster bilden nicht nur die einzige direkte Lichtquelle, sondern bewirken auch eine starke Betonung der Kirchenachse‹. Christine Kratzke (Leipzig) bezog auch so genannte Hagioskope in die Betrachtung ein, also kleine Öffnungen in der Wand, die den Blick von außen in einen Chor gewähren. Im Zisterzienserkloster Bad Doberan habe eine solche Öffnung durch das einfallende Licht im Innern den Corpus-Christi-Altar aus der Zeit um 1320 ›gleichsam hinterstrahlt‹. Jaroslaw Jarzewicz (Posen/Poznan) konstatierte eine ›bewußte Inszenierung des Lichts als Element der künstlerischen Struktur‹ in den Chören von St. Jakob in Stettin, St. Mauritius in Pyritz, St. Marien in Danzig und der Marienkirche in Stargard, zumeist bezogen auf die übergroßen Ostfenster. In St. Jakob in Stettin falle das Licht ›unmittelbar ein, man könnte sagen: fast wie von einem Scheinwerfer‹. War dies intendiert? War es also auch eine ›bewußte Lichtführung‹, wie Gerhard Eimer es formuliert hatte? Jarzewicz bejaht dies, auch weil sich diese Inszenierung des Lichts wie später im Barock ›in Verbindung mit dem Altar und dem großen Aufblühen der Verehrung der Hl. Eucharistie‹ vollzieht.
Auf die Farbigkeit lenkte dann Ernst Badstübner (Berlin) am Beispiel der märkischen Backsteinarchitektur den Blick und stellt bei St. Marien in Bernau die unterschiedlichen Farbfassungen einzelner Raumteile im Mittelalter, die Umgestaltung im 16. Jahrhundert mit ihrer Einheitsfassung gegenüber, mit der auch ›das mittelalterliche Verständnis von der Farbigkeit eines Sakralbaues‹ geendet habe. ›Wie in der ganzen Architektur- und Kunstgeschichte tritt an seine Stelle ein anderes diesseitsorientiertes Bewußtsein von der Materialität, das die Neuzeit bestimmen wird‹. Ein weites Feld. Ob denn die mittelalterliche Wandmalerei die Aufgabe habe, die nackte Wand zu verkleiden, wie die Tapete in einem modernen Wohnhaus, fragte Hans-Joachim Kunst (Marburg), und er sieht gerade darin ihre Bestimmung. Sie soll dem Kirchenraum ein ›Aussehen der Veränderung, der Illusion, der Bebilderung (biblia pauperum) geben oder erhalten‹, das könne auch durch vorgetäuschte Materialien wie etwa Textilien oder Marmorinkrustationen geschehen, wie an der Marktkirche in Hannover, der Kirche in Barnsdorf oder der Marienkirche in Lübeck. Neben das ›aufgemalte‹ Material treten intendierte Farbkombinationen über das Material selbst, wie es Jens Christian Holst (Hoisdorf bei Lübeck) ausführlich darlegte. Hier und in weiteren Beiträgen zeigte sich die oben angeführte ›Farbigkeit als integrierender Bestandteil der Backsteinarchitektur‹, was aber auch niemanden wirklich überrascht haben dürfte. Diente die Eingangsfrage Gerhard Eimers doch primär, einer Fülle von zum Teil doch recht heterogenen Tagungsbeiträgen eine thematische Klammer zu geben. Aus diesem Grund findet man weitere Beiträge mit anderer Schwerpunktsetzung unter den Überschriften ›Bildhaftigkeit im Kirchenbau‹ und ›Neue Leitbilder‹.
Gegenstand war auch die Metaphysik: Martin Büchsel (Frankfurt a. M.) dekonstruierte gleich mit dem ersten Aufsatz dieses Bandes ein weiteres Mal ein überaus populäres Denkmodell zur Geburt der Gotik, für das Erwin Panofsky 1946 durch die Verknüpfung der Jantzenschen Diaphanie mit der Lichtmetaphysik des Dionysius-Areopagita die Grundlage schuf. Und Gerhard Eimer schließt den Band mit einem längeren ›Ausblick‹ auf die Beginenmystik der Mechthild von Magdeburg und den ›Lichtquellen in den Sakralräumen des Ostens‹, in dem er im Vorübergehen Willibald Sauerländer ›kunsthistorischen Darwinismus‹ vorhält.
Das Thema Licht und Farbe in der mittelalterlichen Architektur rückt mit der zunehmenden Zahl bauarchäologischer und restauratorischer Untersuchungen mittelalterlicher Bauten immer stärker in den Blick der Forschung. Es ist ein großes Verdienst dieses Buches, die oftmals an entlegenen Orten publizierten Untersuchungsergebnisse und Forschungsansätze zu diesem Thema für das Gebiet des südlichen Ostseeraumes hier mit einer opulenten Bildausstattung vereint zu finden.
Leonhard Helten in: »Sehpunkte«, 01/2006