Siegfried Schmidt-Joos

My Back Pages

Idole und Freaks, Tod und Legende in der Popmusik

 

Siegfried Schmidt-Joos ist in der Welt des deutschsprachigen Musikjournalismus der fundierteste Kenner der Rock- und Populärmusik. Nicht zuletzt zeugt davon das seit 1973 bei Rowohlt immer wieder aufgelegte Rock-Lexikon, für das er zusammen mit Barry Graves bzw. Bernward Halbscheffel verantwortlich zeichnet, und das man getrost als das Standard-Nachschlagewerk in Sachen Rockmusik bezeichnen kann. Nirgends sonst ist so gleichermaßen profund wie unterhaltsam über internationale Bands und Interpreten berichtet worden, nirgends sonst finden sich so ausgiebige Analysen und Wertungen, Erläuterungen und umfangreiche Diskographien. Selbst heute, wo in der weiten Welt des Internets aktuellere und umfangreichere Informationen zu meinen Idolen verfügbar sind, greife ich zum Nachlesen bevorzugt ins eigene Bücherregal, wo mehreren Auflagen des Rock-Lexikons einen Ehrenplatz einnehmen. Da teile ich uneingeschränkt die Meinung des Herausgebers der »Back Pages«, Frank Böttcher: »Wie sehr die, die es [das Rock-Lexikon, A.P.] verfassten, das musikgeschichtliche, ja kulturelle Selbstverständnis gleich mehrerer west- wie ostdeutscher Generationen wesentlich mitbestimmt haben, wird viel zu selten gewürdigt.« (S. 9)
Schmidt-Joos hat sich darüber hinaus einen Namen als Musikredakteur bzw. Moderator für diverse deutsche Sender gemacht. Er schrieb unter anderem für twen und den Spiegel und veröffentlichte als Autor und Herausgeber eine Reihe von Büchern.
In vorliegendem Werk findet sich nun sozusagen die »Backlist« des leidenschaftlichen Experten. Dazu gehören die Texte aus den 1980er Jahren, die in der vergriffenen Buchreihe »Idole« erschienen und nun ergänzt und aktualisiert worden sind. Es sind die umfangreichen Portraits von Ray Charles, Alexis Korner, Judy Garland, Sammy Davis jr., Frank Sinatra, Bob Dylan und John Lennon. Weitere »Idole und Freaks« sind die Jazzsängerin Sarah Vaughan, der Blues-Gitarrist und -Sänger B. B. King, der von Schmidt-Joos nach Deutschland vermittelt wurde, Barbara Streisand, mit der er 1966, als sie am Beginn ihrer großen Karriere stand, eine Homestory gemacht hat, Tiny Tim, der »Clown aus dem Underground«, der »King« Elvis Presley und die große Show-Ikone Liza Minelli. Ergänzt werden diese biographischen Texte mit der Michael-Jackson-Story, verfasst von Kathrin Brigl, Journalistin, Autorin, Songtexterin, Moderatorin und Ehefrau von Schmidt-Joos.
Es sind tragende und tragische Protagonisten der Kunst des Entertainments und der Rockmusik, deren Lebens-, Erfolgs- und Leidensgeschichten hier – jenseits des Boulevardjournalismus – ausgebreitet werden. Um diese Künstlerinnen und Künstler ranken sich Legenden, besonders um jene, die auf die eine oder andere Weise ums Leben gekommen sind. Schmidt-Joos greift das Thema Tod und Legende in der Rockmusik in seinem einführenden Essay auf, und es zieht sich – wie der Untertitel des Buches verspricht – durch alle Texte hindurch. Wenn von Legendenbildung die Rede ist, spielt Mystifikation eine große Rolle. Magische und okkulte Momente ziehen sich durch die Psychogramme der beschriebenen Ikonen und finden ihren besonderen Niederschlag in den Texten »Sympathy for the Devil: Aleister Crowley, Kenneth Anger und die Folgen« sowie in »Mond im Skorpion: The Rolling Stones in Altamont«.
Es ist ein sehr persönliches Buch geworden, das Schmidt-Joos zusammengestellt hat. Auf das Vortrefflichste ergänzt es das von mir so geschätzte und unverzichtbare Rock-Lexikon. Nicht nur dem Autor, auch dem umtriebigen Verleger Frank Böttcher gebührt dafür ausdrücklicher Dank.

Antje Pfeffer in »journal der jugendkulturen« 12/2007

 

… erschien mit »My Back Pages« eine Sammlung seiner Texte zu Idolen der Pop-Geschichte, Berichten über Ray Charles, Sarah Vaughan und B.B King, über die Stones, Elvis Presley, John Lennon, Bob Dylan, über Judy Garland, Barbra Streisand, Liza Minelli und andere Leitfiguren der Pop-Geschichte. Siegfried Schmidt-Joos lobt, kritisiert, hinterfragt und läßt seine ganz persönliche Betroffenheit nicht aus dem Spiel eine Tatsache, die dieses Buch so überaus lesenswert macht.
in »Express«, Schwerin, 26. April 2006

 

Musik – ganz besonders die Jazz-Musik war dem in Gera geborenen Sigi Schmidt von früher Jugend an wichtig. Er gehörte vor seiner Flucht in die Bundesrepublik zu den Gründern des ersten offiziellen Jazzclubs im Osten Deutschlands, der »Arbeitsgemeinschaft Jazz Halle« und organisierte 1956 das erste Jazzfestival in der DDR.
»Wo immer Jazz gespielt wird, so argumentierten wir nach Diktaturerfahrungen von mehr als 20 Jahren, würde es einen schmalen Raum geistiger Freiheit geben, in dem nicht nur über Jazz, sondern gleichwohl über westliche Literatur und Philosophie, über moderne Malerei und Politik diskutiert werden kann. Doch das harte Vorgehen der SED nach den revolutionären Ereignissen in Polen und Ungarn machte unsere Hoffnung zunichte«, erinnert sich Schmidt-Joos. Er entzog sich 1957 der drohenden Verhaftung durch Flucht. Siegfried Schmidt-Joos studierte in Frankfurt/Main Kulturwissenschaften bei Horkheimer, Adorno und Höllerer, war bald auch Konzertreferent der Deutschen Jazz Föderation. 1960 übernahm er die Leitung der Jazzredaktion von Radio Bremen. Schmidt-Joos arbeitete ab 1963 für den Spiegel, etablierte parallel die ARD-TV-Serie »Swing In« und hatte als einer der ersten deutschen Journalisten die Möglichkeit, viele maßgebliche US-Künstler wie Barbra Streisand, Liza Minelli und Broadway-Stars an ihrer Wirkungsstätte kennenzulernen. Ergebnis seiner aufwendigen Recherchen war das Buch »Das Musical« (1965) – bis heute ein Standardwerk, genau wie das von ihm und Barry Graves ein Jahrzehnt später veröffentlichte rororo Rocklexikon. »Ein Rocklexikon gehört zu den schwierigsten Aufgaben, die sich ein Musik-Journalist stellen kann«, sagt Siegfried Schmidt-Joos. Auch in der DDR hörte man bald von diesem legendären Buch: »Logisch, dieses Taschenbuch, das astronomische 9,80 Westmark kostete und westlich-dekadente Konterbande der übelsten Sorte darstellte, mußte unbedingt auch in meinen Besitz gelangen«, erinnert sich Verleger Frank Böttcher, der damals in einer Provinzstadt in der DDR das erste Mal etwas von Siegfried Schmidt-Joos hörte.
Jetzt hat Böttcher in seinem Berliner Lukas Verlag das wohl schönste und dickste Buch aus der Feder von Siegfried Schmidt-Joos verlegt: Das 600-Seiten-Werk »My Back Pages - Idole und Freaks, Tod und Legende in der Popmusik« ist die reife Ernte einer über fünf Jahrzehnte andauernden Arbeit.
»In so einem Buch, das fast ein ganzes Menschenleben abdeckt, steckt auch ein gutes Stück Autobiographie. Die Auswahl der Künstler und die Art ihrer Beschreibung erzählt einiges über den Beschreiber«, sagt Schmidt-Joos.
Uli Grunert in: »Schweriner Volkszeitung«, 25. April 2006

 

 

Breitkrempiger Hut, dunkle Sonnenbrille, weißgrauer Bart und Jeans-Hemd – der Mann auf dem Schutzumschlag löst keine Assoziationen aus. Es könnte ein Verwandter der Gibb-Brüder sein, der eine Bee-Gees-Biographie vorlegt. Oder eine Sixties-Größe, die reif genug für ihre Memoiren geworden ist. Sicherheit aber gibt der Autorenname: Natürlich, My Back Pages ist von keinem geringeren als Siegfried Schmidt-Joos, der zusammen mit Barry Graves 1973 die Notwendigkeit verspürte, die Popheroen enzyklopädisch im Rock-Lexikon (Rowohlt) aufzubereiten. Jahre später war Schmidt-Joos für die Buchreihe Idole verantwortlich, die – vielleicht auch wegen der wenig bibliophilen Aufmachung – leider häufiger als Ramschware auf Kaufhauswühltischen denn in Büchereien auftauchte. Ein herrliches Buch. Schwer, groß und dick. Keines dieser Bücher im praktischen Handyformat, das in der S-Bahn inmitten zeitungslesender Mitreisender durchblättert wird, sondern ein Schmöker, für den man Zeit und Muße braucht. Ein Buch, das trotz des wiederveröffentlichten Inhalts (und wegen seiner Größe) nicht ins CD-Regal mit seinen plastikverpackten Reissue-Silberlingen paßt, sondern zu den Vinyl-Originalen gestellt werden muß. Auf fast 600 Seiten trägt Siegfried Schmidt-Joos hier die schönsten Früchte eines reichen journalistischen Lebens zusammen. Ursprünglich hingen diese Köstlichkeiten an verschiedenen Bäumen, etwa in den Reihen Rock Session (Rowohlt) oder Idole (Ullstein). Schmidt-Joos greift aber auch auf Texte zurück, die im Original als Nachworte, Plattentexte oder Zeitschriftenartikel (TWEN, Spiegel) erschienen sind. Thematisch haben sich Autor und Verleger auf zwei Schwerpunkte beschränkt: Essays über die düstere Seite der Rockmusik sowie Künstlerbiographien.
Zunächst zu den Biographien, deren Protagonisten größtenteils zum Weltkulturerbe gehören: Ray Charles, Sarah Vaughan, B.B. King, Alexis Korner, Judy Garland, Barbra Streisand, Sammy Davis jr., Frank Sinatra, Bob Dylan, Michael Jackson, Liza Minnelli und John Lennon. Diese Auswahl ist sicherlich ansprechend, doch hätte man sich einige Abstecher jenseits des amtlichen Popfades durchaus gewünscht. Wie diese hätten aussehen können, beweist das Kapitel über den »Clown aus dem Underground«, Tiny Tim. Aus dem öffentlichen Bewußtsein ist dieser ukulelespielende Entertainer fast vollständig verschwunden. Liest man jedoch Schmidt-Joos’ Report aus dem Jahre 1969 (samt aktualisierten Nachruf von 1998), kann man diesen traurigen Umstand nur bedauern. Denn der Autor schaut nicht nur oberflächlich auf die »Erscheinung, die so aussieht wie Joan Baez nach einer Woche ohne Schlaf«, sondern hört mit analytisch-kritischem Ohr auf die Interpretationen von Tiny Tims Tin-Pan-Alley-Songs, denen er reinen imitatorischen Charakter abspricht, dafür das »Wunder einer totalen Verwandlung« bescheinigt. Anders als bei Tiny Tim, dessen Leben und Wirken auf wenigen Seiten abgehandelt wird, nehmen die Biographien der Soul-, Jazz- und Rockgrößen mehr Raum in Anspruch. Seiner Vorliebe für die Verwendung von Zitaten, schon aus Rock Lexikon-Zeiten bekannt, läßt Schmidt-Joos auch hier freien Lauf. In formaler Hinsicht weicht der Autor absichtlich von der weit verbreiteten chronologischen Berichterstattung ab und greift statt dessen Schwerpunkte auf, die Wesen und Werk des Künstlers maßgeblich bestimmt haben. Das Kapitel über Ray Charles beispielsweise gliedert er in die Abschnitte »Der Blinde«, »Der Musiker«, »Der Sänger«, »Der Star«, und »Der Botschafter«. Auf diese Weise kann Schmidt-Joos die stilprägenden Elemente, etwa Charles’ Blindheit, nicht nur als singuläres Ereignis in der Kindheit, sondern als Erklärung für den ganz speziellen Interpretationsstil »höchster Sensibilität und Empfindungsfähigkeit« beschreiben. Ein weiterer interessanter formaler Aspekt erwächst aus der Rundfunkvergangenheit des Autors. Manche seiner Texte könnten durch ihr Zusammenspiel von Liedtexten, Zitaten, O-Tönen und Erläuterungen problemlos auch als Hörfunkmanuskripte verwendet werden.
Neuigkeiten oder gar Enthüllungen sind von Schmidt-Joos in diesen Biographien nicht zu erwarten. Natürlich nicht, denn dies stünde ja nicht im Einklang mit der verlegerischen Zielsetzung, die schönsten Beispiele aus des Autors Schaffen zusammenzutragen. Doch gänzlich unbearbeitet gelangten die Texte nicht ins Buch. So hängt der Autor der Biographie von Sammy Davis jr. zwei Manuskripte aus dem Jahr 2004 an und schließt auch das Kapitel über Bob Dylan mit einem aktuellen Resümee. Auch bei Michael Jackson wird solchermaßen aktualisiert, jedoch nicht vom Autor selbst, sondern von seiner Partnerin Kathrin Brigl, die als einzige Fremdautorin einen Text beisteuern darf. Hier zeigt sich auch der Vorteil der Vorgehensweise, die originalen Texte nicht zu überarbeiten, sondern sie durch Anhängsel zu erweitern. Denn es gibt wohl kaum einen anderen zeitgenössischen Künstler, dessen Werk so sehr von außermusikalischen Ereignissen und Gerüchten überlagert wird, wie Michael Jackson. Die Gnade der frühen Geburt dieses Textes im Jahr 1984 eröffnet dem Leser einen ungewohnten Blick auf den Superstar, der sich nicht mit abbrechenden Nasen und weißer-als-weiß-Hautproblemen herumschlagen muß. Durch die rosarote Brille läßt Brigl den Leser aber trotzdem nicht schauen und greift im angefügten Manuskript auch diese Aspekte sowie die Mißbrauchsvorwürfe auf.
Schmidt-Joos, der sich selbst als »altes journalistisches Schlachtroß« be- und auszeichnet, liebt es, die Biographien mit Anekdoten zu schmücken. Doch auch wenn er bisweilen selbst Teil dieser Anekdoten ist und so am Rande des Scheinwerferlichts auftaucht, drängt es ihn nicht in den Mittelpunkt. Glücklicherweise fehlen dieser Zurückhaltung wegen auch die gefürchteten Künstlerfotos, bei denen sich weniger wichtige Zeitgenossen mit hochgereckten Köpfen und bandscheibenschädigender schiefer Körperhaltung bemühen, auch noch mit aufs Bild, und damit in die Nähe des Glorienscheins zu kommen.
Zahlenmäßig unterlegen, in ihrer Inhaltsschwere aber gleichwertig, sind die eingestreuten Texte über Tod, Teufel und Gewalt in der Rockmusik. Während sich der Autor in den Texten über sonderbare Todesfälle (»Kurzschluß in der Seele«) und Magie (»Sympathy for the Devil«) mit eigener Wertung dieser mysteriösen Vorfälle zurückhält, wird er in seiner Analyse des Altamont-Desasters (»Mond im Skorpion«) wesentlich deutlicher. Denn hier fällt er sein Urteil nicht nur über die Festival-Ordnertruppe der Hells Angels, sondern spricht darüber hinaus besonders Mick Jagger und dessen bewußt provozierendem und manipulierendem Bühnengebaren eine Mitschuld aus. Neben der hohen Qualität der Texte sind es aber auch die verlegerischen »Kleinigkeiten«, die das Buch lesens- und liebenswert machen. So lassen sich die Titelgraphik und Inhaltsangabe nicht nur auf dem Schutzumschlag finden, sondern auch auf dem Buchdeckel. Es gibt eine Kurzbiographie über den Autor, eine Einführung des Verlegers, ein Vorwort des Autors (inklusive einer Erläuterung der ungewöhnlichen Porträtaufnahme auf dem Umschlag), sowie eine Erklärung des Titels samt Dylan-Zitat. Und besonders hervorgehoben – weil leider nicht oft zu finden – sei das Namensregister. Um zumindest den Schein einer kritischen Distanz zu wahren, weist der Rezensent abschließend auf kleine inhaltliche Ungereimtheiten hin: Der Autor von »In the Ghetto« ist nicht Sammy Davis jr. selbst, sondern Scott Davis. Und Mick Taylor, der Bob Dylan 1983 auf den Studioaufnahmen von »Infidels« begleitete, war zum Zeitpunkt der Plattenproduktion schon lange kein Rolling Stone mehr. Aber wie gesagt, diese Kritik nur der Form halber – die nachdrückliche Kaufempfehlung schmälern diese Nichtigkeiten ohnehin nicht!
Michael Stapper
, in: Forum Musikbibliothek, Jg. 25, 2004/4, S. 523–526

 

Siegfried Schmidt-Joos ist ein Leuchtturm des deutschen Musikjournalismus, einer der wenigen, die populärmusikalische Phänomene nicht nur beschreiben, sondern durchdringen können. Allein sein historisches Verdienst als Initiator und Autor des immer wieder aufgelegten »Rock-Lexikons« kann nicht hoch genug bewertet werden. »My back pages« versammelt nun Texte aus vier Jahrzehnten zu Showbusiness, Jazz und Rock. Es sind sehr haltbare Texte, die voller Fakten und Details stecken, sehr nahe an den portraitierten Künstlern sind, ohne je distanzlos oder gar anbiedernd zu wirken.
In dem Band sind Texte über ganz unterschiedliche Persönlichkeiten wie Ray Charles, Frank Sinatra, Liza Minelli oder John Lennon versammelt. Schmidt-Joos ist streitbar, vertritt diskussionswürdige Standpunkte, die aber immer gut begründet sind. Was er 1984 über die Selbstmystifikation eines Bob Dylan schrieb, findet heute vielfältigen Widerhall in der Einschätzung der nachgeborenen Rezensenten von Dylans »Chronicles«. 1998 schrieb Schmidt-Joos: »Eine charismatische Figur, mit der sich die nächste Rockgeneration identifizieren kann, wird sich finden – ob sie will oder nicht Ob das stimmt, mag dahingestellt sein.
Tz in: »Badische Neueste Nachrichten«, 17. Januar 2005

 

Michael Naura in: »ZEIT-Mitarbeiter empfehlen CDs und Musikbücher«,
DIE ZEIT am 2. Dezember 2004

 

Hat man sich vor zwanzig Jahren mit einer Analyse von Texten der Rock-, Pop- und Beat-Musik beschäftigt, konnte man neben Werner Faulstichs Buch (Rock, Pop, Beat, Folk. Grundlagen der Textmusik-Analyse, 1978) vor allem auch auf das von Siegfried Schmidt-Joos zusammen mit Barry Graves verfaßte rororo-Rock-Lexikon zurückgreifen, das als hervorragende Informationsquelle diente (soeben ist dieses Lexikon in einer zweibändigen, aktualisierten Ausgabe erschienen). Es hat sich seitdem auf diesem Sektor einiges getan: Eine Fülle von – in erster Linie – biographischen Schriften ist erschienen, die im Bereich populärer Auseinandersetzung angesiedelt sind und mehr biographische Informationen bieten als eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Beispiele wie Wolfgang Dietrichs politikwissenschaftliche Untersuchung des Schlagers (Samba Samba. Eine politikwissenschaftliche Untersuchung zur fernen Erotik Lateinamerikas im Schlager des 20. Jahrhunderts, 2002), der die komparatistische Image-Mirage-Forschung zur Anwendung bringt, oder Robert Walsers Buch über Heavy Metal (Running with the Devil: Power, Gender, and Madness in Heavy Metal Music, 1993), der die neuesten Entwicklungen der Kulturwissenschaft auf dieses Thema anwendet, sind eher Ausnahme geblieben. Das vorliegende Buch von Siegfried Schmidt-Joos gehört in die erste Kategorie; es ist eine Sammlung von Texten, die großteils für Zeitschriften (z.B. Der Spiegel, DU, Der Monat, Fono Forum), für Buchreihen (Idole im Ullstein Verlag, Rock-Session bei Rowohlt) oder für Sammelbände verfaßt wurden; sie waren vergriffen bzw. schwer zugänglich und wurden für die Buchausgabe auf den neuesten Stand gebracht bzw. wesentlich ergänzt oder erweitert.
Die ursprüngliche Intention dieser Texte war in erster Linie, zwischen den Kulturen zu vermitteln und dem deutschen Publikum nahezubringen, was – nach Schmidt-Joos’ Meinung – gut und wichtig war und Maßstäbe im Showbusiness – vor allem in den USA – setzte. Die Einflußmöglichkeiten eines »Medienmenschen« in den Tages- oder Wochenmedien war in jenen Jahren nicht gering einzuschätzen (man kann auch die Vermittlertätigkeit von Rolf Dieter Brinkmann in diesem Zusammenhang sehen, der mit seinen Anthologien der amerikanischen Pop-Literatur die deutsche Literatur wesentlich befruchtete; soeben ist eine Neuauflage von »Acid« erschienen).
Veröffentlicht wurden also im vorliegenden Band wieder die biographischen Arbeiten über Ray Charles, Alexis Korner, Judy Garland, Sammy Davis jr., Frank Sinatra, Bob Dylan und John Lennon. Sie wurden alle überarbeitet und im Falle von Davis, Sinatra und Michael Jackson (ein Beitrag, den Kathrin Brigl verfaßt hat) um ganze Kapitel erweitert.
In der Struktur hat man sich – das geht schon aus dem Untertitel hervor – auf zwei Subtexte geeinigt: Legende und Tod. Schon im Essay »Kurzschluß in der Seele: Hat das FBI Buddy Holly umgebracht? Tod und Legende in der Rockmusik«, der 1978 in Band 2 der Reihe Rock-Session bei Rowohlt erschien, wurde das Thema angesprochen, und es bot sich an, My Back Pages damit zu beginnen. Wie darin dargestellt, hat Legendenbildung vielfach etwas mit Mystifikation, Mystik und Magie zu tun.
Als zweiter Subtext wurde die Todesthematik herausgegriffen. Das letzte große Abenteuer, der finale Kick. Judy Garlands, Alexis Korners und John Lennons Ende hatte der Autor schon für den Erstdruck dieser Texte ausführlich beschrieben. Für Sammy Davis jr. und Frank Sinatra wurden die Schlußkapitel 2004 hinzugefügt. Todessignale gibt es im Werk Bob Dylans, Todesdrohungen in der Karriere von Michael Jackson, und die Spiegel-Kolumne (1974) über Liza Minelli, die auch im Band abgedruckt ist, war überschrieben: »Selbstmord wird nicht verlangt«. Showbusiness ist in Schmidt-Joos’ Augen ein riskantes Geschäft. Besonders aufschlußreich und spannend sind die Aufsätze, in denen der Autor sich mit stilistischen, musikästhetischen Sichtweisen und Fragen zur musikalischen Interpretation auseinandersetzt, wenn er beispielsweise die musikalischen Qualitäten von Judy Garland hervorhebt (»eine Swingstimme mit perfektem Timing«) und auch musikalische Nummern, die auf Schallplatten zugänglich sind, angibt und beschreibt. Frank Sinatra und Barbra Streisand waren für ihn die bedeutendsten Gesangsstilisten der zweiten Jahrhunderthälfte, vielleicht die größten Entertainer ihrer Zeit. Mit Elvis Presley, Bob Dylan, Michael Jackson, den Beatles (im »Lennon«-Kapitel) und den Rolling Stones (»Mond im Skorpion«) enthält das Buch Betrachtungen und Analysen zu den fünf herausragenden Exponenten der Rockkultur. Die Alexis-Korner-Story ist, genau besehen, nebenbei eine kleine Geschichte der britischen Popmusik. Ebenso sind die Hinweise zum Plattenhören sehr aufschlußreich, da sie sozusagen eine Einführung in die Musikgeschichte mit Beispielen ergeben (z.B. erklärt er einige Balladen von Ray Charles). Ein Highlight ist der Artikel über Sarah Vaughan, der 1992 in der Zeitschrift DU erschienen ist: Hinweise auf stilistische Eigenheiten des Gesangs, auf Farbschattierungen, auf die Modulationsfähigkeit und auf die Darstellungskraft der Sängerin werden pointiert beschrieben. Hier wird ganz deutlich auf die performative Seite des Singens hingewiesen. Aber auch auf soziale Aspekte kommt der Autor zu sprechen, wenn er sehr kritisch die »Verführungsgefahren« der Musik vorführt bzw. bestimmte Themen anspricht: Gewalttätigkeit als Grundlage des Stils der Rolling Stones (vor allem das Konzert in Altamont) oder die allgemeine Brutalisierung der Rock-Szene.
Die Texte sind flüssig geschrieben, sie sind informativ, gut recherchiert; sie sind sehr persönlich (im Stil, in den Bekenntnissen), fachlich profund, enthusiastisch, begeisternd – manchmal ist es freilich des Guten zuviel an »Betroffenheitsthematik« (»Rockmusik war das Leben«). Auch hat der Autor keine Scheu vor »hoch« und »niedrig«, ein Umstand, der einen unverkrampften Zugang zu einem breiten Spektrum von Themen ermöglicht (als »Lehrmeister« gibt Schmidt-Joos Theodor W. Adorno, Hans Joachim Berendt und Walter Höllerer an, die ihm den kulturellen Background vermittelten). Allerdings ermüden doch die schematischen Wendungen bzw. der Duktus des erzählenden Beschreibens den Leser. Trotz dieser kleinen Einwände bleibt My Back Pages eine lohnende, informativ-kritische und nie langweilige Lektüre.
Klaus Zerinschek im »Bulletin des Archivs für Textmusikforschung« (BAT), Nr. 14 (Oktober 2004)

 

Diese gut 600 Seiten in schwarzem Schutzumschlag sind eine Vermächtnis. Sie sind nicht nur ein persönliches »Best of« des Autors, sondern enthalten auch das, was die Pop-Musik des 20. Jahrhunderts in großen Teilen ausgemacht hat. Der Chronist einer Musik, die den Stempel »Unterhaltung« trägt, aber oft voll abgrundtiefem Ernst und traurigem persönlichen Schicksal steckt, heißt Siegfried Schmidt-Joos, Jahrgang 1936.
Er hat früh angefangen, den Wirtschaftswunder-Deutschen immer wieder die Ohren zu öffnen für die vielen neuen Klänge aus dem Musikwunderland Amerika und dem Beat und Rock-Paradies England. Der Mann, der als Bub beim Spiel mit einer Panzerfaust die rechte Hand verloren hatte, wollte mal Drummer in einer Jazz-Band werden. Schmidt-Joos spürte dem Rhythmus der Neuzeit mit der Schreibmaschine und dem Mikrofon nach, verbreitete diese so genannte »Leichte Musik« im Hörfunk, schrieb Bücher, Essays, Geschichten über Schlager, Jazz, Rock und Musical. Und er hat zusammen mit Barry Graves das »Rock-Lexikon« geschaffen.
Die Musik war und ist sein Leben, deshalb ist dieses Buch auch fast so etwas wie eine Lebensbilanz. »My Back Pages« versammelt in 18 Kapiteln Abhandlungen, die zwar alle schon mal veröffentlich worden sind, doch keinen Staub angesetzt haben. Das liegt am Stil von Schmidt-Joos. Er türmt einen beeindruckenden Faktenberg auf, den er manchmal nüchtern abarbeitet, aber immer wieder mit eigenen Erlebnissen und Gefühlen anreichert. So werden die Geschichten, von denen die meisten kenntnisreiche Kurzbiographien sind, zu erlebten und empfundenen Zeitdokumenten. Sie stecken allerdings auch voller Mythos und ein bißchen Magie, obwohl der Autor nicht zu denen gehört, die blind jubeln. Doch Pop-Musik und ihre Wirkung lassen sich nicht losgelöst von den eigenen Stimmungen und Gefühlen beschreiben. Die Hauptdarsteller heißen unter anderem Ray Charles, B.B. King, Alexis Korner, The Rolling Stones, Judy Garland, Frank Sinatra, Bob Dylan und John Lennon. Für einen Hauch von Pop-Neuzeit sorgt Kathrin Brigl, Ehefrau von Schmidt-Joos, mit ihrem Aufsatz über Michael Jackson. Ein gewaltiges Starensemble in einem gewichtigen Buch über angeblich »Leichte Musik.«
Ronald Hinzpeter in der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« vom 9. Oktober 2004

 

[…] Beatles Forever – ein Slogan, unter dem sich auch der Band »My Back Pages« des deutschen Musikjournalisten Siegfried Schmidt-Joos lesen ließe. Denn Joos, der in süffig geschriebenen Reportagen über Idole, Freaks, den Tod und die Legenden in der Popmusik sinniert, landet natürlich auch bei den Beatles, genauer: bei John Lennon und dessen von den Medien mit Wollust ausgeschlachtetem Tod durch die Pistolenkugel des geistesgestörten Amerikaners Mark David Chapmann am 9. Dezember 1980. Die Popmusik trug seinerzeit Trauer, rund um den Globus spuckten die Blätter salbungsvolle Nachrufe aus – und ab sofort liefen vielerorts nur noch Beatles- und Lennon-Platten vom Band.
Doch Joos, einer der Großen des deutschen Musikjournalismus, blickt nicht nur hinter den Mythos Lennon und darauf, wie sein gewaltsamer Tod diesen veränderte, sondern spekuliert vielmehr insgesamt über die Rück- und Schattenseiten solcher Ikonen des Pop und Jazz wie Liza Minnelli, Ray Charles, Michael Jackson oder Bob Dylan. Sein Buch ist ein spannender Streifzug durch die Welt der nur vermeintlich Überirdischen, denn Schmidt-Joos versteht es auf subtile Weise, die Porträtierten als das zu entschlüsseln, was sie jenseits von Glanz und Gloria nicht selten auch sind: Gefangene auf der Rückseite ihres Traums.
Peter Henning in »Bücherpick«, Nr. III/2004

 

Birgit Fuß vergibt dreieinhalb Sterne im »Rolling Stone«, September 2004.

 

Ehe ihm 1957 die Flucht aus der damaligen DDR gelang, war Siegfried Schmidt-Joos mit schwarzer Musik infiziert. Bereits als Elfjähriger hörte er nachts Jazz auf den verpönten West-Sendern. Nach dem Studium in Frankfurt ging es weiter um schwarze Musik. Schmidt-Joos wurde Jazz-Redakteur bei Radio Bremen, dann Kulturredakteur beim SPIEGEL und später Leiter der U-Musikabteilung bei RIAS und SFB. Nebenbei gab Schmidt-Joos das Maßstäbe setzende Rock-Lexikon heraus, das bis heute eine halbe Million Mal verkauft worden ist. Jetzt meldet sich dieser versierte Kenner der Szene erneut zu Wort mit einem umfangreichen Sammelband. Enthalten sind Essays und Abhandlungen aus vier Jahrzehnten, die weit verstreut veröffentlicht waren und nun für die Buchfassung teilweise erweitert und überarbeitet wurden.
So umfassend wie die schwarze Musik ist, so umfassend sind die Texte, die der Autor ausgewählt hat. Jazzspezifisches findet sich nicht, dafür Lesenswertes über Ray Charles, B.B. King, Bob Dylan, Alexis Korner oder Frank Sinatra. Das Porträt des Letzteren ist eines der gelungensten. Sinatra hat, wie Schmidt-Joos zeigt, das Entertainment dank seiner Stimme zur hohen Kunst erhoben. Daß er dabei in 58 Filmen mitgespielt, 72 Platten gemacht und 600 Millionen Stück davon verkauft hat, ist im Grunde unerheblich. Im Falle Sinatras sind auch die Abgründe des Showbusiness ersichtlich. Der Autor verschließt nicht die Augen, wenn er unter Bezugnahme auf neuere Quellen die alte Frage nach der Rolle der Mafia in Sinatras Karriere stellt und – keineswegs leichtfertig – beantwortet. Nicht minder gelungen ist die einfühlsame Charakteristik des Lebens, Singens und Spielens von Judy Garland.
Jedes Porträt der hier versammelten Texte spricht für sich. Der Autor drängelt sich nie in den Vordergrund oder prahlt mit seinen Kenntnissen und Freundschaften. Angenehm sind seine oft ironische Distanz und der kritische Blick auf sich selbst. Dabei »steckt ein gutes Stück Autobiographie«, wie er sagt, in all diesen Betrachtungen. Aufmerksamkeit verdient noch die Reflexion über Elvis Presleys »tiefgreifendste musikalische Revolution dieses Jahrhunderts«, die beim Autor eine »Trendbestimmung« bewirkt und beim Leser die Phantasie anregt. Auch die Abhandlung über Alexis Korner, den »Vater des weißen Blues«, verdient Beachtung. Erst durch ihn, wie deutlich wird, haben die späteren Rockstars erfahren, was afroamerikanische Musik ist – und wie man als Europäer mit ihr autonom umgehen kann. Es waren britische Proletarierkinder, die den Blues entdeckten. In der Person Korners verdichtet sich diese einzigartige Tatsache. Schmidt-Joos’ »ganz persönliche Popgeschichte der letzten fünfzig Jahre« ist mehr als eine Aneinanderreihung subjektiver Geschichten. Seine treffen Trends, sind voller Visionen und zeigen Entwicklungen auf.
Reiner Kobe in »Jazzthetik. Magazin für Jazz und Anderes«, Juli/August 2004; ähnlich auch im »Jazzpodium«, Februar 2005

 

[…] Es ist eine Lust, darin zu schmökern. Schmidt-Joos schwelgt in Erinnerungen […], sehr persönlich, aber nie selbstverliebt.
pem in der »Berliner Morgenpost« vom 24. August 2004

 

[…] Ein informatives, persönliches und intelligentes Buch über Pop-Idole und Aspekte der Popgeschichte. Es erspart einem teilweise Einzelbiographien der o.g. Stars.
Klaus Perlbach im »ekz-Informationsdienst«, 08/04

 

Guter Titel, von Bob Dylan: »Ah but l was so much older then, l’m younger than that now Siegfried Schmidt-Joos ist nun 68, graue Eminenz des deutschen Jazz-Pop-Rock-Feuilletonismus: Radio Bremen, »Spiegel«, RIAS, SFB. Und natürlich »Das Rocklexikon«, 1973. Jetzt »My Back Pages«. Dicker Wälzer. Schweres Buch. Schöner Einband. 594 Seiten aus Schmidt-Joos’ journalistischer Vergangenheit. Vergriffene Aufsätze aus den letzten vier Jahrzehnten. Ehrfürchtig beginnt man zu blättern, liest sich fest in der Biographie von Ray Charles. Und es ist ja schon was: Wenn man beim Lesen animiert wird, die alten Platten wieder aufzulegen. Später die von Alexis Korner, Bob Dylan, John Lennon. Elvis. Aber dann ist man doch wieder mehr von der Musik berührt als vom geschriebenen Wort Zumal es bei Schmidt-Joos etwas betulich, langatmig, schulmeisternd wirkt. Und ein bißchen eitel, weil der Autor immer wieder sein Ego ins Spiel bringt. Geradezu absurd komisch wird es, wenn er Mick Jagger und die Stones anklagt als Wegbereiter von Gewalt. Mit größerem Vergnügen liest man über Sinatra, Sammy Davis jr. und Kathrin Brigls schönen Beitrag über Michael Jacksons. Irgendwann ist man durch mit der Schwarte und fragt sich: Ist man nun jünger oder älter als damals?
h.p. Daniels im »TIP Berlin«, Nr. 16/2004 (29.7.–11.8.2004)

 

Ein Buchstaben-»Best Of«, eine Rückschau auf rund vier Jahrzehnte Rock-Schreibe. SSJ ist das Brandzeichen für fundierte, nicht nur abschildernde Auslassungen. […] Dieser Wälzer ist – in bestem Sinne – ein (wenn nötig und machbar aktualisierter) Gemischtwarenladen, ein Geschichts- und Geschichtenbuch, das Hintergründe und Sehweisen vermittelt. Gerade das Alter einiger Stücke macht diesen Lesestoff 2004 interessant und auch streitwürdig, regt die grauen Zellen an, erinnert an vergessene Fakten. Gut ausgesuchte Abbildungen (54; Cover-Repros, Liza Minnelli mit Aliche Cooper, eine seltene Besetzung der Graham Bon Organization mit Bond/Hiseman/Heckstall/Falana) runden einen opulenten Schmöker-Band ab; in nicht vergewaltigter Rechtschreibung – danke! – zemntiert er wichtige Eckpfeiler eines (musikalischen) Lebens und einer kultur-historischen Entwicklung. Neben diesem neuen Buch sei außerdem die Flohmarktsuche nach Schmidt-Joos’ Erstling »Geschäfte mit Schlagern« von 1960 nachdrücklich empfohlen.
bm [Bernd Matheja] in »Good Times«, Nr. 4 (August/September) 2004

 

[…] der Journalist Schmidt-Joos begnügt sich nicht mit »so war’s«. Er analysiert, kritisiert, stellt Zusammenhänge her. Gibt sich, etwa bei Alexis Korner, der Euphorie hin. Ein Muß für Fans: Can’t stop reading.
»Hörzu«, Nr. 31/2004, 23. Juli 2004

 

Erwähnung in: Der Neue Tag (Oberpfälzischer Kurier) am 16./17. Juli 2004

Es gibt in Deutschland wohl keinen, der sie so intim begleitet hat, die amerikanische Rock-, Blues- und Pop-Szene seit den sechziger Jahren. Siegfried Schmidt-Joos kannte sie alle. Schmidt-Joos hat unzählige Artikel für Zeitungen und Zeitschriften geschrieben, unzählige Sendungen für das Radio (und einiges für das Fernsehen) gemacht. Er wurde 1936 in Gotha geboren, und in seiner Heimatstadt und im Eisenacher Jazzclub hat er kürzlich auch gelesen. In den Sechzigern wirkte er als Musikredakteur bei Radio Bremen, später beim Rias und SFB. Dazwischen arbeitete er für den »Spiegel«. Fast alle westdeutschen Rundfunkanstalten belieferte er mit Jazz- und Rocksendungen. Sein mit Barry Graves verfaßtes »Rock-Lexikon« gehört(e) zur Hausapotheke des echten Fans.
Niemand in seiner Branche hat so oft Amerika bereist, die Szene studiert, mit den Musikgrößen Kontakt aufgenommen und sensationelle Interviews geführt. Viel zu wichtig sind die Arbeiten von Schmidt-Joos, um unbeachtet im Historiker-Archiv zu verstauben. Sie sind so lebendig und wirksam wie die behandelte Musik, selbst wenn inzwischen andere Moden und, wie im Jazz, merkliche Entwicklungen über uns gekommen sind. Es sind hautnahe Dokumente einer großen Epoche. Es ist deshalb gar nicht genug zu rühmen, daß der Verleger Frank Böttcher, selbst ein alter Rock-Freak, mit Schmidt-Joos handelseinig wurde, wichtige frühere Aufsätze und Essays in einem neuen Buch zusammenzufassen. Unter dem Bob-Dylan-Titel »My Back Pages« ist es nun auf dem Markt, und erstaunlicherweise bietet es gleichsam ganz frische Ware. Kein bißchen altbacken wirkt, was er zu sagen hat: über Buddy Holly, Ray Charles, Sarah Vaughan, B.B. King, Alexis Korner (mit dem er besonders freundet war), The Rolling Stones, Judy Garland, Barbra Streisand, Sammy Davis jr., Tiny Tim, Frank Sinatra, Elvis Presley, Bob Dylan, Liza Minnelli und John Lennon. Über Michael Jackson hat Schmidt-Joos’ Frau Kathrin Brigl einen aufschlußreichen Artikel beigetragen.
Die einzelnen Texte sind geschliffene journalistische Preziosen, die dem Anekdotischen, den oft verschrobenen Fakten, den Zufällen und Koinzidenzien aufspüren. Ihren Charme gewinnen sie durch die metonymen Einzelheiten: »Sammy Davis jr. hatte den Erdbeer-Soda-Mix Strawberry Crust zu seinem Leibgetränk gemacht Aber der Autor schürft vielfach auch tiefer, geht den Eigenarten der elektrisierenden Wirkung der Musik nach oder der Ästhetik des Popsongs, dem Verhältnis von Rock und Politik, der Entwicklung von Trends, den Affinitäten zu Okkultismus und Magie. Regelrecht fasziniert ist Schmidt-Joos vom Thema des Todes, was angesichts der endlosen Liste der bei Unfällen, durch Drogen, Krebs und Mord früh Verstorbenen kein Wunder ist. Verwandt damit ist das Phänomen des Mythos, aus dem die Stars schöpften und in den sie selbst eintauchten.
In einem Sinatra-Film heißt es in einem Song »You’ve either got or you havn’t got style«. Schmidt-Joos hat ihn. Dazu gehört, daß seine Darstellungen immer innere Beteiligung verraten, wie journalistisch abgebrüht und zuweiten ein wenig autoreneitel sie andererseits auch wirken. Heute, im Nachdruck, merkt man, es sind eigentlich Liebeserklärungen.
Es ist eine Lust, sie zu lesen.
Wolfgang Wicht in der »Thüringer Allgemeinen« am 7. Juli 2004

 

Das rororo-Rocklexikon, das Siegfried Schmidt-Joos gemeinsam mit seinem Rundfunkkollegen Barry Graves herausbrachte, mauserte sich bald nach dem Erscheinen der 1. Auflage im Jahre 1973 zum Standardwerk der Musikverrückten. Einfach alles, was man über seine Idole wissen wollte, war hier zu finden. Besonders begehrt war das Nachschlagewerk im Osten, wo es – wie die Musik, von der es handelte – schwer zu bekommen war. Es sei denn, man steckte es sich in einem unbeobachteten Moment auf der Leipziger Buchmesse einfach in die Tasche. Das soll vorgekommen sein … Ohne zu stibitzen gelangte Frank Böttcher in den Besitz des Buches. Im Vorwort zu Siegfried Schmidt-Joos’ neuem Buch berichtet er von dem glücklichen Moment, in dem er das heißersehnte Werk dank Westverwandtschaft endlich in den Händen hielt. Heute ist der damalige DDR-Jugendliche Chef des Lukas Verlags, der unter dem Bob Dylan entlehnten Titel »My Back Pages« eine Sammlung von Essays und Porträts aus Schmidt-Joos’ Feder veröffentlicht hat.
Die Texte, die hier auf knapp 600 Seiten versammelt sind, entstanden im Laufe einer langen, passionierten Journalistenkarriere und sind allesamt schon einmal in Zeitschriften oder Büchern publiziert worden. Schmidt-Joos, 1936 im thüringischen Gotha geboren, schon in der Jugend in die BRD ausgewandert und von dort aus immer wieder unterwegs ins Pop-Land Nummer eins, die USA, hat in seiner Berufslaufbahn etliche der großen Stars getroffen und interviewt. Mit einigen war er sogar befreundet – was seiner Arbeit zugutekam. Kaum einer seiner amerikanischen Kollegen wollte ihm glauben, daß er für eine exklusive Home-Story bei der jungen Barbra Streisand eingeladen war, als die zu den begehrtesten Künstlerinnen zählte. Das 1966 im »Deutschen Panorama« erschienene Porträt ist einer von siebzehn meist umfangreichen, zum Teil aktualisierten Texten über namhafte Blues-Legenden, Rock-Stars und Unterhaltungskünstler, die nun im Buch noch einmal nachzulesen sind. Ray Charles, B.B. King und Sammy Davis jr. gehören ebenso zu den Porträtierten wie John Lennon, Mick Jagger und Bob Dylan, Judy Garland und Frank Sinatra. Ein Beitrag befaßt sich detailliert mit Michael Jacksons Aufstieg und Fall. Als einziger stammt er nicht von Schmidt-Joos, sondern von seiner Frau Kathrin Brigl.
Auch wenn die Geheimnisse, die Schmidt-Joos in seinen teilweise schon recht alten Texten lüftet, längst keine mehr sind: Die Geschichten um Frank Sinatras Mafia-Verstrickungen, Mick Jaggers Hang zum Satanismus oder Bob Dylans fortwährende Neuerfindung der eignen Biographie lesen sich auch heute noch äußerst spannend. Nicht konsequent eingehalten ist jedoch das einleitend gemachte Versprechen, sich bei der Auswahl auf Texte zu beschränken, die sich entweder mit der Mystifikation von Stars oder mit deren Tod befassen, diesem »letzten Kick«, dem so viele Musiker schon in jungen Jahren nicht widerstehen konnten. Die Essays, auf die das am ehesten zutrifft, sind auch die mitreißendsten. Wenn Schmidt-Joos über Gerüchte um eine FBI-Verstrickung in den tödlichen Flugzeugabsturz Buddy Hollys schreibt, über die verblüffend identischen Umstände, unter denen innerhalb kürzester Zeit gleich zwei Mitglieder der Allman Brothers bei Motorradunfällen ums Leben kamen, oder über den seltsamen Umstand, daß fast zeitgleich zum Unfalltod mehrerer Musiker von Lynyrd Skynyrd deren LP »Street Survivers« erschien, fesselt jeder Satz. Obwohl er sie genüßlich ausbreitet: Um allzu wilden Verschwörungstheorien zuzustimmen, ist Schmidt-Joos zu sehr investigativer, seriöser Journalist – und Musikliebhaber. Kritisch stellt er fest, daß die Mystifikation von Stars oft ein Eigenleben entwickelt und schnell wichtiger wird als das Eigentliche, die Musik. Wo seine Recherchen kein Licht in die dunklen Todesursachen bringen können, dort wähnt er weder schwarze Magie noch die Verstrickung von Geheimdiensten, sondern unterstellt eine bewußte oder unbewußte Todessehnsucht der Künstler, deren Wanderung zwischen Mensch- und Gottsein auf schmalem Grad über einen tiefen Abgrund führt.
Das Buch ist voll mit sauber recherchierten Fakten, fesselnden Storys und fundierter Musikkritik. Das einzige, was man Siegfried Schmidt-Joos vorwerfen könnte ist, daß er sich selbst in den Texten zu wenig zurücknimmt. Oft schwingt mehr als ein bißchen Eitelkeit und Stolz darüber mit, daß er es war, der dies oder jenes herausgefunden und die prominentesten Prominenten persönlich kennengelernt hat. Auf dem Schutzumschlag prangt nicht etwa das Konterfei von Judy Garland oder Liza Minelli, sondern – mit Schlapphut und Sonnenbrille – das von Sigi Schmidt-Joos.
Martin Hatzius im »Neuen Deutschland« vom 8. Juni 2004

 

Wer häufig von früher spricht, wird alt. Na wenn schon. Für Siegfried Schmidt-Joos ist die Zeit der wahren Rockmusik abgeschlossen – seit Mitte der 80er Jahre etwa, mit dem Abschied von Nirvana etwa, sagt der renommierte Musikjournalist. Seine Helden der Gegenwart sind die Helden der Vergangenheit und die Wertigkeit der Musikgeschichte ist bei ihm nach hinten offen.
Als Schwärmer für die Vergangenheit trifft der gebürtige Gothaer nicht nur den Nerv seiner, der reiferen Beatles-Generation. Aktuelle Rock-Größen wie etwa die kanadische Gitarrenband »Nickelbag« kennt er zwar nicht, die pulsierende Rockszene in Chicago allerdings. Heutige Rockbands schöpften jedoch nicht mehr aus Blues oder Jazz, sondern bedienten sich nur vorhandener Bausteine in Musik und Technik. Die Meilensteine, meint Schmidt-Joos, sind gesetzt. Posthumes ist up to date.
Das gemeinsam mit Barry Graves verfaßte und mit Co-Autoren fortgeführte Rock-Lexikon – das Standardwerk schlechthin – hatte Schmidt-Joos nicht mit in die »Alte Mälzerei« nach Eisenach gebracht. Dafür sein Buch »My Back Pages« […]. In diesem Werk legt der ehemalige Spiegel-Kulturredakteur und Unterhaltungsmusik-Chef von RIAS und SFB seine persönliche Popgeschichte der vergangenen 50 Jahre vor. Er legt nicht nur sein profundes Musik(er)-Wissen in die Wagschale, sondern gibt Insider-Wissen im sozialen Kontext wieder.
In Eisenach las der Autor quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Bedauerlich. Abgesehen von einem halben Dutzend inventarisierten Freunden des Jazzclubs und zwei Journalisten fehlte jegliches Publikum. Was hätte der Zuhörer aus erster Hand erfahren können – Geschichten über die Stones, Dylan, B.B. King, Alexis Korner, Barbra Streisand oder Judy Garland. Er will sie nur weitererzählen. »Sonst sind sie weg«, sagt Schmidt-Joos. Und möglichst viele junge Menschen sollen sie lesen.
Schmidt-Joos sieht sich nicht als Historiker, dennoch will er ein Stück wichtiger Musik-Geschichte für die Nachwelt festhalten. Mythen, Sonderlinge, gewagte Thesen, Skandale, Erbrochenes oder wenn nötig auch Blut kommen dabei auch zur Geltung – und immer gut an. Schließlich will einer der profundesten Musikjournalisten Deutschlands nebenbei auch einige Euro damit verdienen.
Jensen Zlotowicz in der »Thüringer Landeszeitung« (TLZ), Lokalteil Eisenach, vom 05. Juni 2004

 

Intelligent und doch lebendig über Popmusik zu schreiben, ist eine Herausforderung. Musikologen tun sich damit schwer, sofern sie den Gegenstand überhaupt für würdig erachten. Fans wollen meist nichts mit dem zu tun haben, was sie dazu zwingen könnte, über ihre Vorlieben und Obsessionen nachzudenken. Hinzu kommt, daß es im deutschsprachigen Raum schlicht unüblich ist, über Popmusik Bücher zu produzieren, die mehr sind als Hofberichterstattung für Stars. Insofern fällt es aus dem Rahmen, wenn im Berliner Lukas Verlag ein Buch erscheint, das sich mit dem Thema Popmusik auf fast sechshundert Seiten überaus ernsthaft auseinander setzt. Allerdings ist sein Autor kaum ein ganz Unbekannter. Siegfried Schmidt-Joos war Kulturredakteur des »Spiegels« und später Leiter der Unterhaltungsmusikabteilung beim RIAS Berlin und SFB. Bekannt sein dürfte er den allermeisten aber als (Mit-)Herausgeber eines Rock-Lexikons, das Maßstäbe gesetzt hat. Im vorliegenden Werk finden sich Essays und Abhandlungen von ihm zusammengestellt, die irgendwann in den vergangenen vierzig Jahren schon einmal erschienen sind, für die Buchfassung aber zum Teil erheblich erweitert und überarbeitet wurden.
Das Musikherz des Autors ist groß: Texte über Ray Charles und B. B. King stehen neben Porträts von so extrem unterschiedlichen Namen wie Frank Sinatra, Bob Dylan, Alexis Korner, Judy Garland, Liza Minnelli und John Lennon. Entsprechend unterschiedlich lesen sich die Texte. Am gelungensten ist zweifellos der große Beitrag zu Frank Sinatra. Sinatra, so zeigt Schmidt-Joos, trat nicht nur de facto als Entertainer auf, sondern er brachte, als was er auftrat, in einem viel tieferen Sinne mit seiner Stimme erst hervor. Er hat den Typus des Entertainers zum Künstler sublimiert. Dies als eine historische Tat anzuerkennen, heißt aber nicht, vor den Abgründen des Showgeschäfts die Augen zu verschließen. Unter Bezugnahme auf neuere Quellen wird die alte Frage nach der Rolle der Mafia in Sinatras Karriere so genau und abwägend wie möglich beantwortet.
Lesenswert auch der Essay zu Bob Dylan mit der treffenden Titelmetapher »Songs auf dem Hochseil« oder die einfühlsame Charakteristik des Lebens, Singens und Spielens von Judy Garland. Besondere Aufmerksamkeit verdient (neben einem aktuellen Text Kathrin Brigls über Michael Jackson) die Abhandlung über den »Vater des weißen Blues«: Alexis Korner. Erst durch ihn, so wird noch einmal deutlich, haben die späteren Rockstars erfahren, was afroamerikanische Musik ist und wie man als Europäer mit ihr autonom umgehen kann. In Alexis Korner verdichtet sich die historisch einzigartige Tatsache, daß es britische Proletarierkinder waren, die den Blues wiederentdeckten, zur Geschichte einer Person. Daran zu erinnern, ist kein geringes Verdienst, wenn man bedenkt, daß eine »Popmusikgeschichte«, die ihren Namen verdient, erst noch geschrieben werden muß.
Richard Klein in der »Badischen Zeitung« vom 4. Mai 2004

 

[…] Es mag verwundern, in diesem Kontext den Namen Frank Sinatra zu erwähnen, steht er doch für den Inbegriff des »weißen« Gesangs, jener Musik, die sozusagen als Ohrenschmaus der besitzenden Klasse zum Klangspiegel Amerikas wurde, sich aber an einer stilistischen Integration von white, black and red nie interessiert zeigte. Daß er gleichwohl aus dem Panorama der erzählenden Stimmen des 20. Jahrhunderts nicht wegzudenken ist, zeigt der mit Abstand gelungenste Text aus der Essaysammlung von Siegfried Schmidt-Joos.
Sinatra trat nicht nur de facto als Entertainer auf, sondern er brachte, als was er auftrat, in einem viel tieferen Sinn mit seiner Stimme erst hervor. Er hat den Typus des Entertainers zum Künstler sublimiert. Bei ihm diente das Mikrofon zum ersten Mal als Medium zur expressiven Verlängerung der Stimme. Es ließ die Sensibilität des Sängers sich für die Geräuschzonen des eigenen Gesangs entfalten und gab sie diesem dann als eine ganz neue Ausdrucksfacette zurück.
Gewiß eignete sich seine Show mit Bigband und Las Vegas bestens dafür, die Ober- und Mittelschichten des Landes mit jener Selbstbestätigung zu überziehen, die diese brauchten. Trotzdem werfen Texte wie Musik des Mannes auf die affirmative Selbstverständlichkeit der Welt, in der er sich bewegte, viele zweifelnde und zwiespältige Blicke. Eben das hat auch Dylan gemeint, als er nach Sinatras Tod von »der Wahrheit über die Dinge in seiner Stimme« sprach. Zu Recht hindert das Schmidt-Joos aber nicht daran, die dunkle Seite dieser Karriere auszuleuchten: Unter Bezugnahme auf neuere Quellen wird die alte Frage nach der Rolle der Mafia so genau und abwägend wie möglich beantwortet.
Ganz anders der Essay über Alexis Korner, der aus der Perspektive des persönlichen Freundes geschrieben ist. Das hat zwar den Nachteil, daß etwas mehr Anekdoten ausgebreitet werden, als von der Sache her nötig wären, aber es vermittelt ein sehr plastisches Bild dieses Mannes, den man den »Vater des weißen Blues« genannt hat. Das Wort ist ernst zu nehmen. Alexis Korner war weder ein ganz herausragender Musiker noch ein typischer Lehrer, erst recht kein Manager auf Talentsuche. Es handelte sich vielmehr um etwas Unverwechselbares zwischen alledem. Sicher um die Vaterfigur hinter Mick Jagger, Eric Burdon, Robert Plant und einer Menge anderer späterer Spitzenleute der Rockszene. Erst durch ihn haben sie erfahren, was afroamerikanische Musik ist und wie man als Europäer autonom mit ihr umgehen kann. In Alexis Korner verdichtet sich die historisch einzigartige Tatsache, daß es britische Proletarierkinder waren, die den Blues wiederentdeckten und sich dann selbständig aneigneten, zur Geschichte einer Person.
Mit einem dieser Kinder rechnet Schmidt-Joos an einer Stelle knapp und klarsichtig ab: mit dem Mick Jagger, der nach Altamont (jenem Konzert im Herbst 1969, bei dem vor den Augen der Band der Schwarze Meredith Hunter zu Tode kam) den Kopf in den Sand steckte und so tat, als hätte er nie in seinem Leben Gewaltphantasien gehabt und mittels Musik auf der Bühne ausagiert.
Es geht nicht um eine moralische Anklage gegen Jagger oder gar die Musik, sondern darum, daß keine Musik gegen soziale und seelische Wirkungsmechanismen schlechthin indifferent sein kann. Wenn Gewalt nicht bloß ein Stoffmoment von allerbesten Stones-Songs ist, sondern ein Bestandteil ihrer inneren, dynamischen Zusammensetzung, dann ist der Weg, sich die Hände in Unschuld zu waschen, von vornherein verbaut. Man glaubt es zunächst nicht, aber hier plädierte ausgerechnet der oberste der bad boys für einen Umgang mit deren Musik, als sei sie der Hausaltar eines Spießbürgers, der mit allen seinen lauen Frieden will und nichts sonst, bloß um das mindestens ambivalente Wirkungsfeld des eigenen Tuns nicht voll zur Kenntnis nehmen zu müssen. Verlogeneres ist kaum denkbar.
Richard Klein im »Merkur«, Heft 4/2004