Peter Walther (Hg.)
Die Dritte Front
Literatur in Brandenburg 1930–1950

 

Der Titel der vorliegenden Arbeit, bei der es sich um den Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung »Die Dritte Front. Literatur in Brandenburg 1930-1950« handelt, ist dem Roman Herbert Scurlas »Die Dritte Front« entnommen. In erster Linie geht es darin um die Karrieren bekannter und auch weniger bekannter Brandenburger Literaten und Literatinnen, daneben aber auch um Orte von literarischer Bedeutung, wie das »Haus der deutschen Frontdichter« in Buderose bei Guben oder Schloß Wiepersdorf als Schriftstellerheim in den ersten Nachkriegsjahren sowie um Potsdamer Buchverlage. Der Untersuchungszeitraum wurde gewählt, weil sich in ihm, so Peter Walther, die »politisch wechselhaften Zeitläufe des 20. Jahrhunderts zusammendrängen: das Ende der Weimarer Republik, zwölf Jahre der NS-Diktatur, die von einer relativen Liberalisierung geprägte Nachkriegszeit sowie die Jahre der frühzeitigen Erstarrung des geistigen Lebens in der SBZ seit 1948«.
Besonders interessant sind die ersten drei Beiträge, die sich mit literarischen Karrieren in beiden deutschen Diktaturen befassen. Hier legt Frank Kallensee seine in Teilen noch vorläufigen Ergebnisse zur »Doppelkarriere« des Schriftstellers Dr. Herbert Scurla (1905-1981) vor, der sich sowohl dem nationalsozialistischen System als auch der SED-Diktatur sehr erfolgreich zur Verfügung stellte. Obwohl 1957 zur Sprache kam, daß er die Unwahrheit über seine Verstrickung in den Nationalsozialismus gesagt hatte, kam er in der DDR ungeschoren davon, wo er 1981 hochdekoriert (u.a. waren ihm die Johannes-R.-Becher-Medaille in Silber und Gold, die Verdienstmedaille der DDR sowie der Vaterländische Verdienstorden in Gold verliehen worden) starb. Die Erforschung der Ursachen seiner auch in der DDR ungebrochenen Karriere muß künftigen Recherchen vorbehalten bleiben.
Die literarische Tätigkeit der deutlich älteren Marie Diers (1867-1949) wiederum blieb allein auf die NS-Zeit beschränkt. Wäre sie jünger gewesen, hätte sie sich dem neuen System in der SBZ möglicherweise erfolgreich durch Erzählungen oder Romane über die Bodenreform andienen können. Die Sachsenhausener »Erfolgsschriftstellerin«, die in den zwanziger Jahren ihre »Prominenzphase« (Niklas Luhmann) erreicht hatte, war dem NS-System, so Jürgen Israel, vor allem deshalb so nützlich, weil sie »weithin ohne das nazistische Vokabular« auskam, also jene Leser erreichen konnte, die dem Nationalsozialismus abwartend bis ablehnend gegenüberstanden. Über das benachbarte Konzentrationslager Sachsenhausen hat die 1930 der NSDAP Beigetretene, 1946 aber bereits demonstrativ von der Sowjetunion Überzeugte (»Unsere Zukunft liegt bei Rußland«), kein Wort verloren.
Auch die 1932 der NSDAP beigetretene »Begründerin des Brandenburg-Berlinischen Wörterbuchs« Dr. Anneliese Bretschneider (1898 bis 1984) durchlief eine »Doppelkarriere«. Sie zeichnete aus, daß sie in der von Männern dominierten Wissenschaft eine führende Position erringen konnte. Gerd Simon skizziert das Bild einer machtbewußten, intriganten und »Dossiers« über Künstler und Wissenschaftler für Gestapo und Sicherheitsdienst verfassenden Karrieristin. Obwohl die Kriminalpolizei nach 1945 zu dem Schluß kam, Bretschneider habe »hundertprozentig im Sinne des Faschismus« gearbeitet, machte man sie erneut zur Leiterin des Berlin-Brandenburgischen Wörterbuchs. Im Verlauf ihrer zweiten Karriere in der DDR war sie als Mitarbeiterin der Berliner Akademie der Wissenschaften und Professorin, später als Lektorin an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam tätig. Auf ihrem Spezialgebiet durfte sie problemlos weiter publizieren.
In dem kenntnisreichen, detaillierten Beitrag von Ingrid Pietrzynski geht es nicht um »Doppelkarrieren« irgendwelcher Art, sondern um den Werdegang des Potsdamer Rundfunkpioniers Hermann Kasack (1896-1966) seit Mitte der zwanziger Jahre, der die Jahre der NS-Diktatur in der »inneren Emigration« überstehen mußte. In der DDR, die er 1949 verlassen sollte, hatte Kasack sich nicht vereinnahmen lassen. Nach seinem Weggang wurden seine Werke dort nicht mehr verlegt. Erst Ende der achtziger Jahre sollte sein Hauptwerk »Die Stadt hinter dem Strom« in der DDR erscheinen.
Zuletzt ist besonders auf den Beitrag von Kai-Uwe Scholz über die schillernde Karriere des Erfolgsautors Bernhard Kellermann (1879 bis 1951) zu verweisen. Mit seinem utopischen Roman »Der Tunnel« (1913) hatte er den Zeitgeist getroffen: In mehr als zwanzig Sprachen übersetzt, soll er dem Autor mehr als eine Million Goldmark eingebracht haben. Kellermanns 1920 vorgelegter Revolutionsroman »Der 9. November« fand in linken Kreisen und der Sowjetunion »begeisterte Aufnahme«, obwohl es sich dabei keineswegs um eine »lupenrein sozialistische und linientreue Darstellung der historischen Vorgänge« handelte. Dennoch galt Kellermann seither »als Partei«, was ihm in der Nachkriegszeit von großem Nutzen sein sollte. Die Jahre der NS-Diktatur verbrachte der Autor in einer Nischenposition. Obwohl er offiziell weitgehend ignoriert wurde, durfte er weiter veröffentlichen. Schon am 23. Mai 1945 bot Kellermann der Sowjetischen Militäradministration - nicht uneitel (»Ich bin einer der meistgelesenen, im Inland wie im Ausland bekannten deutschen Schriftsteller«) - seine Dienste an. Unter seiner tätigen Mithilfe arbeitete man in Ostdeutschland sodann an seiner Verfolgungslegende, die bis in die achtziger Jahre unhinterfragt bleiben sollte. An seiner politischen Instrumentalisierung wirkte Kellermann eifrig mit, indem er etwa 1948 eine Propagandabroschüre mit dem Titel »Wir kommen aus Sowjetrußland« vorlegte, oder anläßlich des 70. Geburtstags von Stalin eine der damals üblichen Elogen auf den sowjetischen Diktator verfaßte.
Dieser kleine, wohltuend verständlich geschriebene Band ist ein Lesevergnügen. Der erste Teil, der diverse literarische »Doppelkarrieren« analysiert, trägt manche erhellende Erkenntnis zum (diachronen) deutsch-deutschen Diktaturvergleich bei, obwohl keiner der Autoren diesen Ansatz für sich in Anspruch nimmt. Daneben gelingt es diesem Sammelband tatsächlich aufzuzeigen, daß das geistige Leben Brandenburgs vielfältiger als bislang vielfach angenommen war.
Beate Ihme-Tuchel,in: IWK. Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutscehn Arbeiterbewegung, Heft 1/2006

 

 

 

 […] Bemerkenswerter als die Ausstellung ist die Begleitpublikation. Spannend liest sich etwa die Darstellung der ersten Monate in Wiepersdorf, als dort die Urenkelin Bettine von Arnims, Vertreter der Deutschen Dichterstiftung, Bodenreformbegünstigte aus dem Dorf und Parteifunktionäre die handelnden Personen waren. Kaum weniger fesselnd ist die Geschichte des Schriftstellers Bernhard Kellermann, der 1913 durch den Roman »Der Tunnel« bekannt wurde, der seinen Lebenslauf nach dem Krieg ein wenig schönte und sich den neuen Machthabern regelrecht anbot. Diese hofierten ihn, unter anderem durch Beschaffung einer Villa am Heiligensee. Heute heißt das Haus tatsächlich Kellermann-Villa und ist in der Potsdamer Schickeria wegen des italienischen Restaurants darin berühmt.
Frank Pergande in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 2. April 2004