Christian Welzbacher
Die Staatsarchitektur der Weimarer Republik

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erhofften sich die revolutionären Geister unter den Architekten Volkshäuser und Stadtkronen, Kristalltempel und Menschheitskathedralen. Aber das erste öffentliche Gebäude, das die junge demokratische Republik errichtete, war die Reichsschuldenverwaltung in Berlin-Kreuzberg, in der Kriegsanleihen und Reparationsleistungen bearbeitet wurden. Es wurde ein Bau, mächtig wie die Staatsschulden. Als Architekt hatte sich der Münchner Baukünstler German Bestelmeyer ins Spiel gebracht, der an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg lehrte. Sein Vorentwurf zeigte einen dickbäuchigen Rundling, der an den Juliusturm in der Festung Spandau erinnern mochte. Nur daß darin kein Schatz aufbewahrt, sondern dessen Abwesenheit verwaltet werden sollte.
Was tatsächlich gebaut wurde, bequemte sich dem Kreuzberger Straßenmuster an. Bestelmeyer fügte sich in die norddeutsche und Berliner, auch bayerische Backsteintradition ein. Mit kräftigen Wandpfeilern knüpfte er an Karl Friedrich Schinkels benachbarte Profanbauten an, ließ Flächen als Flächen stehen und versah nur die Erdgeschoßfenster mit spitzigen Wimpergen. Zu Beginn der Bauzeit erschien der Bau als Beispiel für Reformarchitektur im Sinne des Deutschen Werkbunds. Als er fertiggestellt war, 1924, galt er als Beleg restaurativer, wenn nicht reaktionärer Haltung. Christian Welzbacher, Autor des eindrucksvoll recherchierten Bandes über die Staatsarchitektur der Weimarer Republik, knüpft daran einleuchtende Bemerkungen über die Verfallszeiten von Architekturformen in Zeiten schneller gesellschaftlicher Veränderungen.
Die bauliche Symbolpolitik der Weimarer Republik wirft mehr als eine Frage auf. Da Welzbacher nicht die gesamte Bautätigkeit der öffentlichen Hand, auch nicht die des Teilstaates Preußens, sondern nur die von Reichsinstitutionen (außer Bahn und Post) zum Thema macht, bleiben ihm wenige Projekte als Untersuchungsmaterial. Anders als nach 1945 waren die Amtssitze des Vorgängerregimes ausnahmslos erhalten geblieben und wurden weitergenutzt. Neuer Behördenbedarf war oft durch Umbau zu befriedigen. So begnügte man sich mit den Palais der Berliner Friedrichstadt oder den vorhandenen Dienstgebäuden außerhalb der historischen City.
Nach Bestelmeyers Schuldenverwaltung bot erst die Erweiterung der Reichskanzlei in der Wilhelmstraße den nächsten Diskussionsfall. Der zögerlich moderne Entwurf aus dem Architekturbüro Eduard Jobst Siedler durchlief einen Prozeß der Angleichung und Anpassung, dessen Resultat weder Traditionalisten noch Avantgardisten zufriedenstellte. Ähnlich drohten die Wettbewerbe um die Reichstagserweiterung 1927 und 1929 zu verlaufen. Immerhin geriet bei ihnen die Gesamtplanung des Spreebogens ins Blickfeld, ein Generalthema der Berliner Stadtplanung von Schinkel und Lenné bis Axel Schultes. In der jungen Republik wurde eine Nord-Süd-Achse vorgeschlagen, die die alte Königsachse im Zuge von Unter den Linden durchkreuzen sollte. Albert Speer griff diese Idee für Hitlers Große Straße auf.
Auch Stadtplanung kennt ihre Paradoxien. Jenseits von Welzbachers Untersuchungszeitraum, in der Berliner Republik nach 1990, wurde das heutige ostwestliche »Band des Bundes« mit neuem Kanzleramt und Bundestagseinrichtungen abermals als Durchkreuzung gerechtfertigt. Jetzt sollte sie die – nicht realisierte – nordsüdliche Prachtstraße des Dritten Reiches annullieren, deren Vorgängerplanung im Weimarer Staat doch die Achse der Demokratie hatte bilden sollen. Verschlungene Wege der politischen Rhetorik! 1929 blieb es bei Vorschlägen. Sogar die Reichstagserweiterung fiel der Finanzmisere in der Weltwirtschaftskrise zum Opfer. Die Prämierung des Wettbewerbs, bei dem Hugo Häring oder Hans Poelzig auch radikale Vorschläge eingereicht hatten, läßt darauf schließen, daß bei einer Verwirklichung Lösungen im Sinne einer modernisierten Tradition bevorzugt worden wären.
Beim dritten und letzten Exempel, dem Wettbewerb für die Reichsbankerweiterung am Berliner Kupfergraben, wurden der progressiven Fraktion mit Mies van der Rohe, Gropius und Poelzig Chancen eingeräumt. Für eine der Moderne aufgeschlossenere Architekturpolitik des Reiches läßt sich aber auch dieser Wettbewerb kaum in Anspruch nehmen. Welzbacher weist mit Recht darauf hin, daß die eingeladenen Wortführer des Neuen Bauens sich mit symmetrischen, axial geordneten Baukörpern bereits auf die Repräsentationsbedürfnisse ihrer Bauherren eingestellt hatten. Monumentalisierung und formale Verhärtung, so sein Befund.

Organisiert wurde der Wettbewerb vom Chef der preußischen Hochbauverwaltung Martin Kießling, sozusagen als Gast der gesamtstaatlichen Institution Reichsbank. Kießling beförderte damals den Durchbruch einer ins Repräsentative gewendeten Neuen Sachlichkeit. Doch der Beamte urteilte nicht aus der Perspektive des Reiches, sondern aus der des Reichslandes Preußen, das gegen Ende der zwanziger Jahre eine größere Zahl elegant-frugaler Bauwerke verantwortet hatte. Der Reichsbankwettbewerb scheiterte wie der Spreebogenwettbewerb. Ohne entsprechende Rechtsbefugnisse – aber was galt das Recht nach dem 30. Januar 1933? – kassierte Hitler die Ergebnisse.
Auslandsauftritte deutscher Architekten und Designer bei den großen internationalen Ausstellungen gegen Ende der zwanziger Jahre vermittelten das Bild eines technikbewußten, sozial engagierten, zukunftsoffenen Deutschland. Ein innovativer Pavillon wie der Kuppelsaal Otto Bartnings in Mailand 1926 oder das klassische Belvedere Mies van der Rohes in Barcelona 1929, das Welzbacher mißverständlich in die Nähe einer funktionalistischen Ästhetik rückt, wurden vom Reich als Visitenkarten genutzt, im Gegensatz zu seiner kompromißbereiten Architekturpolitik im Landesinneren. Für den Blick von draußen kamen die Leistungen des Neuen Bauens in Wohnungs- und Sozialbauten, Sportanlagen, Krankenhäusern und Hochschulbauten hinzu. Doch hier war nicht das Reich der Bauherr. Auftraggeber waren die Länder, Städte, Gewerkschaften und Organisationen privaten Rechts. Einen wahrnehmbaren oder eindeutigen Stil des Reiches hat es in der Weimarer Republik nicht gegeben.
Wolfgang Pehnt in »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vom 1. November

 

Herausragend unter den Architekturbüchern ist Welzbachers materialreiche Untersuchung, Der Titel führt ein wenig in die Irre, geht es doch fast ausschließlich um Berlin. Mit den – unausgeführten – Vorhaben für den Spreebogen weist die Weimarer Zeit voraus auf die Gegenwart, die das damalige Leitbild eines republikanischen Forums verwirklichte. Der Autor zeigt, warum die Architekturmoderne nicht zum Stil der Demokratie werden konnte: deren beständige Selbsterneuerung ließ einen konsistenten Zeitstil nicht zu, schon gar nicht für Repräsentatives. So überwog der Rückbezug auf eine entschlackte, preußisch-schinkelsche Tradition.
Bernhard Schulz in »Der Tagesspiegel« vom 4. Oktober 2006

 

Die Weimarer Republik, die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts? In der Architekturgeschichtsschreibung ist das die Zeit des Wohnungsbaus, in der zum ersten Mal die Wohnung für die Masse der Arbeiter und Angestellten im Mittelpunkt stand. Und es waren, selbstverständlich, die Geburtsjahre einer neuen Architektur, in denen Mies van der Rohe, Scharoun, die Brüder Taut oder Walter Gropius ihre Meisterwerke schufen – beides, die neue Architektur und die neue Wohnung, war allerdings nur in wenigen Fällen identisch. Aber Staatsbauten? Die kamen in der einschlägigen Literatur so gut wie nicht vor.
Jetzt gibt es ein Buch, das diese Sichtweise auf höchst spannende Weise verändert. Es basiert auf einer Dissertation, die sich anhand monografischer Studien über die Reichsschuldenverwaltung in Kreuzberg (1917–24), die Erweiterung der Reichskanzlei (1924–30), die Überlegungen zu einem Regierungsviertel im Spreebogen und den Erweiterungsbau der Reichsbank (1932–38) dem Thema nähert. Alle diese Bauten und Entwürfe lagen in der Hauptstadt Berlin.
Die »Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln«, wie sie ein Architekt nannte, die Selbstdarstellung der neuen Republik in ihren Bauten wurde durchaus diskutiert. Es war ein Thema, das vor allem in Kreisen des Deutschen Werkbundes behandelt wurde, der sich als architektonisches Gewissen der Nation sah; der Werkbund hatte in der Person des »Reichskunstwartes« Edwin Redslob einen Bruder im Geiste im offiziellen Amt – nicht nur, aber auch für die Architektur des Staates zuständig. Zwar wurde kein Reichsbauministerium geschaffen, wozu es Bestrebungen gab, aber es gab immerhin eine Reichshochbauverwaltung, die für das Bauen der Ministerien zuständig war.
Die zentrale Frage ist natürlich, wie in der sich im Laufe der zwanziger Jahre verschärfende Auseinandersetzung um ästhetische Richtungen sich der Staat mit seinen Bauten einordnete. In einer Hinsicht kann sie ganz eindeutig beantwortet werden: Er sah sich nicht als Fortsetzung des wilhelminischen Kaiserreiches und somit seine Bauten auch nicht als stilistische Nachfolger. Im Gegenteil gab es damals Bestrebungen, Bauten des Wilhelminismus, zum Beispiel den Dom im Zentrum Berlins, von Pomp und Schnörkel zu befreien oder gar gleich ganz abzureißen.
So forderte Schriftsteller Josef Ponten rigoros, »die Republik sollte … dieses den Kunstgeschmack der Deutschen schändende Werk bei der ersten Gelegenheit als zu opfernden Übungsgegenstand für ein militärisches Sprengkommando nutzen«. Wenn das geschehen wäre, dann hätte sich heute unfehlbar eine Bürgerintiative zur Rekonstruktion des Domes gebildet und der Bundestag würde darüber abstimmen …
Gesucht wurde also ein neuer Stil – oder vielleicht doch nicht nur einer, wenn doch die Demokratie von der Pluralität lebt? Tatsächlich wurden die großen Diskussionen um Fragen der Ästhetik in den zwanziger Jahren nicht am Beispiel der Staatsbauten geführt. Diese, die Staatsbauten, waren seinerzeit einfach nicht wichtig genug, als dass man die Stilfrage daran hätte festmachen können. Die genannten Beispiele des Bauens in Berlin wurden zwar vor und nach Fertigstellung besprochen, aber die eigentlichen Auseinandersetzungen fanden auf anderen Feldern statt.
Dass man sich nicht lange an der Frage nach dem »einen« Stil des Bauens festhielt, macht ja gerade die Qualität eines Bauens in der Demokratie aus. Gesucht wurde der »symbolische Ausdruck«, nicht aber ein Stil. Folgerichtig kamen dann in den von Welzbacher detailliert geschilderten Beispielen gemäßigte Architekten zum Zuge – mit einer Ausnahme: dem deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Barcelona 1929 von Mies van der Rohe. Der zielte, im Umfeld einer internationalen Messe, auf das Bild eines neuen Deutschland in der Welt. Die Staatsbauten in Deutschland selbst waren bei weitem nicht so radikal.
Aber der Weltausstellungspavillon wird im Vergleich zu den Berliner Beispielen nur kurz behandelt. Darin zeigt sich eine Schwäche des Buches, genauer: seines Titels. Was sind eigentlich »Staatsbauten«? Alles, was das Reich als Bauherr zu verantworten hat? Alle öffentlichen Bauten? Was ist mit den Bauten der Länder, den Rathäusern in den Städten – stehen auch sie für den Staat? Was ist mit den Postbauten Robert Vorhölzers in München, den Schulen und Staatsbauten Fritz Schumachers in Hamburg, den Arbeitsämtern von Gropius in Dessau oder von Oelsner in Altona? Was ist mit den Krankenhäusern?
Sicher, dies waren keine Bauten, die das Reich als Bauherr zu vertreten hatte, insofern hat Welzbacher formal Recht, sie nicht zu behandeln. Aber sie alle stehen in den Augen der Bürger für das Bauen eines Staates, Man kann verstehen, dass dieses riesige Gebiet nicht im Rahmen einer Dissertation behandelt werden kann. Dann hätte man den etwas bescheideneren, aber zutreffenderen Buchtitel belassen sollen, den diese hatte; dort hieß es »Moderne und Repräsentation. Die Staatsarchitektur der Weimarer Republik in Berlin«. Der Autor (und der Verlag, der den allgemeineren Titel sicher befördert hat) hätte seine Arbeit auf diese Weise schützen können. Mit dem »echten« Titel aber verspricht das Buch nicht zu viel. Es ist inhaltlich ganz vorzüglich und gründlich, gut zu lesen und hinreichend mit Illustrationen versehen. Sehr empfehlenswert.
Gert Kähler in der »Süddeutschen Zeitung« vom 4. Oktober 2006

Noch 2000 hieß es im Deutschland-Band zur Architektur im 20. Jahrhundert (Prestel): »Die Weimarer Republik hat keine Staatsarchitektur hervorgebracht«. Die weit verbreitete Meinung war schon damals durch etliche Einzelstudien zum Thema widerlegt. Konzentriert auf die Reichhauptstadt Berlin im gesamtdeutschen Kontext bietet nun Welzbacher auf Basis fundierter Literatur- und Quellenstudien einen Überblick über die politische Architektur der Weimarer Republik. Wurde diese meist unter der »weißen Moderne« á la Stuttgart oder Frankfurt subsumiert, blieb die offizielle Staatsarchitektur unbekannt, weil oft ungebaut. Dafür war die prekäre wirtschaftliche Situation verantwortlich, aber auch die Fülle an Parteien, die in komplex demokratischen Verfahren beteilt waren. Der Einfluß einzelner (politischer) Institutionen, Architektenverbände (vgl. Deutscher Werkbund) sowie des progressiven, aber oft erfolglosen Reichskunstwarts wird in Großprojekten vom Ende der Kaiserzeit bis in die frühe NS-Zeit hinein, etwa am Regierungsforum im Spreebogen, abgehandelt. Zentral ist dabei die architektonisch-stilistische Artikulation der ersten deutschen Demokratie. Sie zeigt ein differenziertes, kompromißreiches, oft unentschlossenes Bild nach innen, während zugleich Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon das moderne Deutschlandimage nach außen prägte. Dieses Buch hat gute Chancen ein Standardwerk zu werden.
br. In: »architektur aktuell«, H. 7/8, 2006

Vorbildlich fügte sich das Erweiterungsgebäude der Reichskanzlei in die heterogene Bebauung der einstigen Berliner Regierungsmeile in der Wilhelmstraße ein. Mit seiner glatten Natursteinfassade und dem flachen Dach gab sich das Haus zwar auf den ersten Blick als modernes Bauwerk der zwanziger Jahre zu erkennen. Zugleich aber bemühten sich die Architekten Eduard Jobst Siedler und Robert Kisch darum, das Gebäude zwischen seine kleinteiligeren barocken Nachbarn einzupassen und ihm durch kraftvoll profilierte Fenstergewände ein repräsentatives Erscheinungsbild zu verleihen. Doch trotz solchen Gestaltungsqualitäten erfuhr der 1930 fertig gestellte Erweiterungsbau kaum Wertschätzung. Ganz im Gegenteil: Das Bemühen der Architekten, zwischen architektonischer Tradition und sachlicher Modernität zu vermitteln, wurde als «Qualitätsmangel» aufgefaßt.
In der Ablehnung der Reichskanzlei-Erweiterung läßt sich das schwierige Verhältnis zwischen Moderne und Repräsentationsbedürfnis geradezu exemplarisch ablesen, dem sich der Architekturhistoriker und Journalist Christian Welzbacher in seinem materialreichen Buch über die «Staatsarchitektur der Weimarer Republik» ausführlich widmet. Nach einem einführenden Blick auf «das Erbe der Kaiserzeit» stellt der Autor die wichtigsten Bauvorhaben der jungen deutschen Republik vor, die sich zwischen der Suche nach Anknüpfungspunkten aus der Baugeschichte und selbstbewußter Erneuerung bewegen. Den Auftakt bildet die zwischen 1917 und 1924 in Berlin-Kreuzberg realisierte Reichsschuldenverwaltung. Von German Bestelmeyer entworfen, stand die regelmäßige Pfeilerfassade des Backsteinbaus trotz aller Formreduzierung ganz in der Tradition der Messelschen Warenhausbauten der Jahrhundertwende. Eine Architektur mit kurzer Halbwertszeit: Galt die Reichsschuldenverwaltung bei Baubeginn 1919 als progressiv, so war sie laut Welzbacher bei ihrer Fertigstellung 1924 bereits ein «Beispiel restaurativer (Bau)Gesinnung».
Neben der Erweiterung der Reichskanzlei und dem nie verwirklichten Mammutprojekt eines «Reichsehrenmals für die Gefallenen des Weltkrieges» nimmt die Planung für die Erweiterung des Reichstags im Spreebogen einen zentralen Punkt in Welzbachers Arbeit ein. Zwar wurde auch hier keiner der Entwürfe ausgeführt, doch an den Beiträgen lassen sich erneut die unterschiedlichen Konzepte konservativer und moderner Architekten ablesen – bis hin zu den unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Moderne. Den Schlußpunkt bei der Suche der Weimarer Republik nach einer eigenen staatlichen Ausdrucksform zwischen preußischer Vormachtstellung und architektonischer Innovation stellte der Wettbewerb für die Erweiterung der Reichsbank in der Mitte Berlins dar, der 1932/33 an der Schwelle zur Machtergreifung der Nationalsozialisten stattfand. Bereits seit 1930 hatten die Vertreter des Neuen Bauens zunehmend auf monumentalisierende Formen gesetzt. Das zeigte sich auch in den Beiträgen von Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe für den Reichsbank-Wettbewerb. Auf Weisung Hitlers wurde jedoch schließlich ab 1934 ein Entwurf des Reichsbank-Baudirektors Heinrich Wolff ausgeführt, so daß der Bau, der heute das Auswärtige Amt beherbergt, zum ersten Großbau des NS-Regimes avancierte.
In seinem lesenswerten Buch zeigt Welzbacher auf, wie das Bemühen um einen architektonischen «Staatsstil» in der Weimarer Republik scheiterte. Zu den Gründen dafür gehörte sicherlich die politische Instabilität der Epoche, die kaum Planungskontinuität zuließ. Vor allem aber war es die Verweigerung – oder Unfähigkeit – der vielgestaltigen Moderne, für die staatliche Repräsentation der ersten deutschen Demokratie einen verbindlichen Stil zu formulieren.
Jürgen Tietz in »Neue Zürcher Zeitung« (NZZ), 19.07.2006

Die vorliegende Publikation resultiert aus der Dissertationsschrift des Verfassers, die 2005 mit dem Otto-Borst-Preis und dem Theodor-Fischer-Preis des Zentralinstituts für Kunstgeschichte (München) ausgezeichnet wurde. Um das Verhältnis von Baukunst, Repräsentation und Politik am Beispiel der Konzeptionen für die Hauptstadt Berlin nachzuvollziehen, lenkt Christian Welzbacher den Blick auf die Symbolpolitik der ersten deutschen Demokratie, analysiert Bauten und Projekte für die Reichsschuldenverwaltung, die Reichskanzlei, den Reichstag, die Reichsbank und den Berliner Spreebogen, hinterfragt architektonische und städtebauliche Intentionen und präsentiert Protagonisten aus Planung und Politik. […]
Um die Untersuchungen zu den Berliner Bauvorhaben in größere Entwicklungszusammenhänge einzuordnen und die deutschen Entwicklungen in den internationalen Kontext einzufügen, befaßt der dritte Hauptteil des Buches sich mit der Staatsarchitektur und Bauprojekten jenseits der Hauptstadt. Zur Diskussion stehen hier die PIanungen für eine zentrale Gedenkstätte der Kriegstoten (Reichsehrenmal), der Bau von patriotischen Kulturhäusern (Reichsdankhäuser), die Ausstellungspavillons des deutschen Reichs und die Mitwirkung deutscher Architekten am Wettbewerb für den Volkspalast. Die zentrale Fragestellung des dritten Hauptteils nach identitätsbildenden Möglichkeiten von Architektur weist bereits auf das fundamentale Problem des vierten Hauptteils hin, auf das Verhältnis von Stil und Funktion in der Staatsarchitektur in Bezug auf die allgemeinen Zusammenhänge der architekturgeschichtlichen Entwicklung. Dieser zusammenfassende Blick offenbart nicht allein das Grunddilemma, mit dem die Staatsarchitektur der Weimarer Republik sich konfrontiert sah, sondern auch das Grunddilemma der kunsthistorischen Forschung, die sich durch die Mehrdeutigkeiten der Moderne vor neue Herausforderungen gestellt sieht. Daß diese anspornende Feststellung, wie Welzbacher darlegt, einmal mehr auf die Staatsarchitektur der Weimarer Republik zutrifft, ist die elementarste Erkenntnis seiner Arbeit bei der Suche nach dem Zusammenhang von Moderne und Repräsentation.

Insgesamt präsentiert sich das mit Fotos, Grafiken und Abbildungen ansprechend ausgestattete Werk als eine fundierte und tief schürfende Analyse, in der die Staatsarchitektur der Weimarer Republik umsichtig interpretiert wird unter Einbeziehung vielfältiger Aspekte, die das komplizierte Beziehungsgeflecht erhellen, in das die Architektur des preußischen Reformstaates eingebunden war. Für die gediegene Ausstattung des Buchs gebührt auch dem Lukas Verlag ein Kompliment.
Fritz Wagner in: »Zeitschrift für Geschichtswissenschaft«, 54. Jg., Heft 6/2006

 

Christian Welzbacher geht in seiner Dissertation, die nun in Buchform vorliegt, den Spuren der Staatsarchitektur der Weimarer Republik nach. Er betritt damit ein Gebiet, das bisher zu den weißen Flecken auf der Landkarte der deutschen Architekturgeschichte gehörte und in der Forschung oftmals als Mythos oder sogar als Phantom galt.
Lange Zeit war es nahezu vergessen, daß es überhaupt Ansätze zur Schaffung einer staatstragenden Architektur unter der Weimarer Republik gab. Wie Welzbacher in seiner detaillierten Arbeit jedoch nachweisen kann, gab es sehr wohl die Absicht, den Staatsgedanken durch repräsentative Bauwerke zu symbolisieren und eine veritable Staatsarchitektur eigenständiger und unverwechselbarer Prägung zu etablieren. Allein, die schwierige wirtschaftliche und politische Lage der jungen Republik verhinderte letztlich jeden Anlauf zur Realisierung großangelegter Projekte.
Dabei hätte es sicherlich nicht an kreativem Potential gemangelt. Aus heutiger Sicht ist die deutsche Architekturszene der 1920er Jahre überaus reich an großen, berühmten Namen: man denkt unwillkürlich an das Bauhaus, Künstlervereinigungen wie den Deutschen Werkbund oder den Bund Deutscher Architekten, die »Gläserne Kette«, und nicht zuletzt an die aufregenden Utopien von Bruno Taut, Hermann Finsterlin, Otto Kohtz u. v. a.
Man
überbot sich gegenseitig mit immer kühneren Entwürfen, die auch regelmäßig in den Fachzeitschriften publiziert wurden. Die wechselseitige Beeinflussung der Planer untereinander läßt sich dabei oft kaum aufschlüsseln, wie Welzbacher betont, – »all dies gehörte in eine politisch instabile, auftragsarme Nachkriegsepoche, in der sich die Architekten mit Referenzprojekten eine prominente Startposition für die Zeit nach der Krise zu sichern suchten«.
Dennoch waren es nicht die Anhänger der jungen Avantgarde, die bei den wenigen staatlichen Ausschreibungen zum Zug kamen, sondern die Vertreter einer gemäßigten Moderne. Die Behörden als Auftraggeber waren zwar der radikalen »Weißen Moderne« nicht grundsätzlich abgeneigt, suchten aber nach einer ruhigen, bewährten Formensprache, die weniger revolutionären Esprit als vielmehr die Anbindung an allgemein anerkannte Werte vermittelte. Der Ausdruck der Staatsgebäude sollte diesen Vorstellungen gemäß an preußische Ideale wie Zucht, Disziplin und Mäßigung erinnern. Zugleich stellte sich auch das praktische Problem, daß die neuen Bauaufgaben zumeist in einen Altbestand eingefügt werden mußten.
Deshalb suchte man nach einem Baustil, der sich in abgewandelter Form an der Vergangenheit orientierte. Zwar wollte man keine Rückkehr zum Historismus der wilhelminischen Prägung – gerade von dieser Ära wollte man sich absetzen und dies auch in einer optischen Zäsur zur Geltung bringen – wohl aber eine Hinwendung zur geschichtlichen Bautradition. Die Lösung bot sich in der Rezeption der Bauten Schinkels und der klassizistischen Formensprache des frühen 19. Jahrhunderts sowie in der Wiederentdeckung der additiv-geometrischen Kubaturen der französischen Revolutionsarchitektur.
Freilich vermochte der nüchterne »Um 1800«-Stil, wie er beispielsweise am Bau der Reichsschuldenverwaltung und der Erweiterung der Reichskanzlei Verwendung fand, keine eigenständigen Akzente zu setzen und rief auch viel Kritik in der Fachpresse hervor. Für Welzbacher wurden durch solche bauliche Kompromisse wichtige Chancen vertan, durch die das Reich seine Staatsarchitektur auf die Basis einer modernen Repräsentationsbauweise hätte stellen können. Seine Bildbeispiele belegen nur zu deutlich, daß gleichzeitig entstandene private Gebäude, und manchmal sogar öffentliche Bauten im kommunalen Sektor, einer wesentlich mutigeren und zeitgemäßeren Formensprache folgten.
Das Verhältnis von Baukunst, Repräsentation und Politik wird schwerpunktmäßig am Beispiel der Konzeptionen für die Hauptstadt Berlin nachvollzogen. Komplementär dazu stehen auch weitere Bauvorhaben zur Debatte, darunter das »Reichsehrenmal«, die »Reichsdankhäuser« und die Bauten des Reiches im Ausland wie Mies van der Rohes Pavillon auf der Weltausstellung von Barcelona.
Das umfangreichste Kapitel im Zuge der Analyse nimmt dabei die Gestaltung des Berliner Spreebogens ein. Über den gesamten Zeitraum der Existenz der Weimarer Republik verfolgte man die Idee, rund um das Reichstagsgebäude ein großzügiges Regierungsforum entstehen zu lassen, das das symbolische und tatsächliche Zentrum des Deutschen Reiches darstellen sollte. Das Vorhaben bot Anlaß für zahlreiche großartige städtebauliche Visionen, von den gigantischen Stufenpyramiden von Otto Kohtz und den radial angelegten Scheibenhochhäusern von Hans Poelzig bis zur völligen Ummantelung des Reichstags durch Karl Walch und der »Kremlmauer« von Bruno Taut. Doch die Folgen der Weltwirtschaftskrise ließen selbst den dringend benötigten Bibliotheksanbau scheitern.
Von besonderem Interesse ist das Kapitel über die Planungsgeschichte der Erweiterung der Reichsbank, die bereits von der kommenden Diktatur überschattet wurde. Ausgerechnet bei diesem letzten großen Bauvorhaben der Weimarer Republik folgte der Wettbewerb vorerst noch einer verhältnismäßig liberalen Ausrichtung. Im Zuge der politisierten Diskussion im Verlauf des Jahres 1933 schien sich jedoch die Bedeutung des Vorhabens zu wandeln: anstelle eines modernen Verwaltungsgebäudes verlangte man nun einen repräsentativen Staatsbau.
Schließlich griff Hitler persönlich massiv in die Planung ein. Der ursprünglich republikanische Kontext des Gebäudes wurde im Nachhinein als genuin nationalsozialistisches Projekt dargestellt, weshalb Welzbacher im Erweiterungsbau der Reichsbank einen Ausgangspunkt nationalsozialistischer Selbstinszenierung erkennt. Allerdings verweist der Autor in diesem Zusammenhang auch auf einen Sachverhalt, der bisher weitgehend unbeachtet blieb, nämlich daß bereits um 1930 ein formaler Umbruch in der Architektur spürbar wurde, der durch die Annäherung von »konservativen« und »modernen« Positionen gekennzeichnet ist. In dieser neuen, »monumentalisierten Moderne« verschmolzen Modernismen und Traditionalismen zu einem Amalgam, die beiden Lager näherten sich an und tendierten gemeinsam in die Richtung eines herben, strengen Neoklassizismus.
Damit stellt sich die heikle Frage nach den politischen Implikationen der Architektur, und zumindest soviel steht fest, daß die gängigen Vorstellungen der Rollenverteilung von »links« und »rechts« zu simpel sein dürften. Zusammenfassend gelangt Welzbacher zu dem Schluß, daß bestimmte politische Aussagen zu keinem Zeitpunkt verbindlich an ihre jeweilige formale Erscheinung gekoppelt waren. Die Frage nach den Verbindungen zwischen ideellem Gehalt und ästhetischer Gestalt beziehungsweise nach dem Verhältnis von Inhalt und Form müsse daher jeweils von ihrem Entstehungs- und Gebrauchszusammenhang her beurteilt werden.

Damit verweist der Autor auf ein Grunddilemma der Architekturforschung, das nicht allein die Staatsarchitektur der Weimarer Republik betrifft, sondern ein Problem für den wissenschaftlichen Umgang mit der Moderne im Allgemeinen darstellt.
Ulrike Schuster, Portal Kunstgeschichte, 29.05.2006

 

Mit der Reichsschuldenverwaltung, der Erweiterung der Reichskanzlei und den Bebauungsvorhaben im Spreebogen sowie abschließend mit der Erweiterung der Reichsbank wirft der Autor die Frage nach dem Grunddilemma auf, dem sich die Staatsarchitektur der Weimarer Republik gegenübersah. Das Verhältnis zwischen ideellem Gehalt und ästhetischer Gestalt der Planungen wie der ausgeführten Projekte sei aber noch weiter zu erforschen. Dem muß uneingeschränkt zugestimmt werden, um die Bauten der Weimarer Republik in ihren ideologischen Grundpositionen weiter zu entschlüsseln.
in: »Denkmalspiegel«, April 2006

 

Kaum ist der Bundestag in Berlin angekommen, platzt er schon wieder aus allen Nähten. Trotz der drei großen Komplexe, die das Reichstagsgebäude umgeben, und trotz mehrerer großer Bürohäuser Unter den Linden wollen die Klagen nicht verstummen, daß der Platz einfach nicht reicht. Daß auch das Parlament in der Weimarer Republik, der damalige Deutsche Reichstag im Wallot-Bau, Platzprobleme hatte, geht aus diesem Bild hervor, das – aus Reproduktionsgründen leider etwas unscharf – beim genauen Hinsehen eine kleine Sensation darstellt:
Denn nach diesem Entwurf des großen Architekten Hans Poelzig aus dem Jahre 1929 sollte der Reichstag (rechts neben der damals noch hier postierten Siegessäule) um nicht weniger als zehn (!) große Gebäude erweitert werden, die im Halbkreis entlang des Spreebogens gebaut werden sollten. Poelzig hatte neun große Scheibenhäuser und ein dreiwinkliges Gebäude in gleicher Höhe vorgeschlagen. Zur Realisierung kam es dann nicht, vermutlich wegen der Wirren der im selben Jahr einsetzenden Weltwirtschaftskrise.
Entnommen ist das Bild einem imponierenden Band des Architekturhistorikers Christian Welzbacher
über »Die Staatsarchitektur der Weimarer Republik«. Was der Autor hier zusammengetragen und mit großer Sachkenntnis kommentiert hat, wird für den Leser zu einer spannenden Reise in die Weimarer Republik, die man von dieser Seite nur wenig kennt. Denn so wie in der Politik nach der Abdankung des Kaisers ein grundlegender Neubeginn versucht wurde, so gab es auch einen spürbaren Aufbruch in der Architektur. Viele wirkten dabei zusammen – die Architektenverbände, der Deutsche Werkbund, aber auch der hochverdiente »Reichskunstwart« Edwin Redslob (dessen politische Funktion übrigens nie umstritten war). Sie alle wollten der Demokratie auch im Äußeren ein neues Gesicht geben. Daß sie dabei trotzdem der Tradition des herkömmlichen Bauens mehr verhaftet waren, als sie wohl zugegeben hätten, zeigt dieser Band sehr deutlich:
Der leichte und luftige Bauhausstil prägte zumindest die Bauten der öffentlichen Hand nicht. Es ist eine vergleichsweise schwere Architektur, die vorherrscht: ausgedrückt etwa im Bau der Reichsschuldenverwaltung (1924), im Entwurf für ein Festspielhaus in Salzburg (1931) oder im Bau der erweiterten Reichsbank (das spätere SED-Parteigebäude). Auch mittels seiner Bauten wollte oder sollte der Staat beeindrucken.
Dirk Klose in: »Das Parlament«, 13. März 2006