Tobias Kunz,
Dirk Schumann (Hg.)
Werk und Rezeption
Architektur und ihre Ausstattung
Ernst Badtstübner zum 80. Geburtstag
Die 23 Autoren dieses Bandes ehren
einen Kunsthistoriker, der als akademischer Lehrer, wissenschaftlicher Publizist
und praktischer Denkmalpfleger die (ost)deutsche
Kultur- und Geistesgeschichte eines halben Jahrhunderts – geistig und materiell
– mitgeprägt hat. Da sich alle Texte auf das Wirken eines wissenschaftlich
erfahrenen Architekturhistorikers beziehen, ist mit der Festgabe zugleich ein lehrreiches
Spiegelbild moderner bauwissenschaftlicher und denkmalpflegerischer Einsichten
und Verfahren entstanden.
Den Band eröffnet Matthias Müller mit Überlegungen, die theoretisch und
methodologisch alle folgenden Berichte überwölben: »Steine
als Reliquien. Zum Verhältnis von Form und Materie in der mittelalterlichen Kirchenarchitektur«. Warum ist uns sehr oft alte Bausubstanz
wichtig? … Der Autor beantwortet solche Fragen …
Der Abriss des Berliner Schlosses und der Leipziger Universitätskirche galt
einem Zeugniswert, den die Herrschenden nicht ertragen konnten. Umgekehrt: Der
Wiederaufbau der Berliner Nikolaikirche – ein Schwerpunkt des Bandes – hilft, die
Identität unserer neuen Welt zu sichern. Das sind weit gespannte Assoziationen,
die der Autor so nicht ausspricht, aber anregt…
Vier Beiträge exemplifizieren diese Haltung am Beispiel des Baues, an dessen
Wiederherstellung auch der Jubilar viel Lebenskraft gewendet hat. Dirk Schumann
entwickelt überzeugend die mittelalterliche Baugeschichte der Berliner
Nikolaikirche. Auf den bescheidenen Untertitel »Eine bauarchäologische
Spurensuche« folgt eine solide und grundlegende Analyse der Vorgänge, die von den
frühmittelalterlichen Vorgängerbauten – Feldsteinkirchen – bis zur
frühgotischen Hallenkirche und dem hochgotischen Hallenumgangschor mit
Kapellenkranz geführt haben; ein anschaulich bebilderter Text von
Inventarbandqualität. Jan Raue würdigt die Wiederherstellung der
kriegszerstörten Nikolaikirche von 1983 bis 1987 als wichtige Leistung des
Instituts für Denkmalpflege (Ministerium für Kultur) und als »bedeutendes
Beispiel für die Erhaltung von Baudenkmalen auf dem Gebiet der DDR«. Unter dem
Titel »Raumfassung und Restaurierung. Befund und Befundinterpretation« schildert er die nach der Wende
weiterhin stattfindende »restauratorische Begleitung der Renovierungsarbeiten« …
Den Bericht liest der bauwissenschaftliche Laie mit Bewunderung. Unter dem
Titel »Reste der Herrlichkeit. Die mittelalterlichen
Kunstschätze der Berliner Nikolaikirche« rekonstruiert
Peter Knüvener die ursprüngliche Ausstattung des
Gotteshauses mit Bildern, Skulpturen, liturgischen Gefäßen und Grabdenkmälern,
mit Gestühl und Kanzel. Indem er die Denkmäler in kunstgeschichtliche Zusammenhänge
einordnet, erweitert er nicht nur unsere Vorstellung von der alten Kunst in
Berlin, er schafft auch eine wichtige Voraussetzung für die Gestaltung und
Ordnung des geistigen Lebens, das in das renovierte, von der Gemeinde nicht
mehr als Kirche gebrauchte Gebäude einziehen soll.
Diesem Vorgang, der jetzt als vorläufig abgeschlossen gelten kann, widmet sich
Albrecht Henkys unter dem Titel »Schicksale
eines Denkmals. Die Geschichte der Berliner Nikolaikirche von 1939 bis heute«…
Der Gedanke vom memorialen
Wert der alten Bausubstanz findet seine Weiterführung in drei Beiträgen, die in
verschiedene Phasen der Geschichte der deutschen und europäischen Denkmalpflege
führen. Helmut Börsch-Supan veröffentlicht und
kommentiert zwei kostbare Ansichten der Klosterkirchenruine Paulinzella,
die Karl Friedrich Schinkel um 1802, also als Zwanzigjähriger, zeichnete…
Die bei jeder Wiederherstellung zu bewältigende Spannung zwischen der Wahrung
der Würde des Alten und den – letztlich auch ökonomisch begründeten –
Ansprüchen an die praktische Nutzung des Erneuerten hat im Bannkreis der
Weimarer Klassik nicht zuletzt die hier befindliche »Ritterburg« geprägt. Grit
Jacobs zeichnet unter dem Titel »Die Entwürfe Ferdinand von Quasts für die
Wartburg« detailreich die Auseinandersetzungen nach, die zum Problem der
Verbindung von »Fürstenschloss« und »Burg mit Wirkung in die Landschaft«
geführt wurden. Die Wartburg sollte zu einer »würdigen Wohnung für die
großherzogliche Familie« werden und zugleich ein nationales Denkmal, in dem sich
»Religion, Geschichte, Literatur und bildende Kunst« vereinen. Die Diskussion
über den Rang des damals Erreichten ist heute noch nicht beendet, wie die
Autorin zeigt.
Der geschichtliche Zeugniswert kann alte Bausubstanz gelegentlich sogar zu
Spolien machen, die, als heilbringende Fremdkörper in neue Strukturen
eingefügt, reliquienhaft auf
ideale Welten verweisen – in der Aachener Pfalzkapelle z.B.
erinnern Spolien an Rom, im Magdeburger Dom an Aachen. Die Reihe der sich durch
die Weltgeschichte der Architektur ziehenden baulich-materiellen Hinweise auf
Altes und deren zeichenhafte virtus
erweitern Edmund Kizik und Małgorzata
Omilanowska um einen zunächst fast kurios wirkenden
Fall. In ihrem minutiös aus polnischen Archiven erarbeiteten
Bericht über »Das Danziger Haus auf der Pfaueninsel. Ein gotisches Bürgerhaus zwischen
klassizistischer Translokation und modernem Neubau« beschreiben sie den am Anfang des 19. Jahrhunderts geplanten Abriss
der Fassade eines spätgotischen Bürgerhauses in Danzig und deren Ankauf durch den
preußischen König…
Dem Jubilar, der sich bereits als Student mit dem zisterziensischen Kirchenbau
befasste, der über die Prämonstratenserklosterkirche Veßra
promovierte, der in der Lehmannschen Arbeitsstelle für Kunstgeschichte der
Akademie der Wissenschaften an der Erarbeitung eines Corpus der romanischen Kunst
Mitteldeutschlands – der mittelalterlichen Kirchen in der Mitte der DDR –
teilnahm und der schließlich ein schönes und informatives Buch über »Die
Kirchen der Mönche« …, diesem mediävistischen Spezialisten
der Architekturgeschichte sind in seiner Festschrift selbstverständlich auch
wichtige Untersuchungen zum Kirchenbau gewidmet. Sie betreffen die zentralen
Bereiche bauwissenschaftlicher Forschung: Baubeschreibung (als Zugang zur
Baubedeutung), Baugeschichte (als Entstehungs- und Schicksalsgeschichte des
kirchlichen Gebäudes) und schließlich die Nutzungs- und Ausstattungsgeschichte (als
Ausdruck des liturgischen Lebens in den Räumen). Diese
Texte, manchmal vor allem von Bedeutung für die regionalgeschichtliche
Forschung, jedoch immer wissenschaftlich informativ…
P.S.: Ein festlicher Blumenstrauß beglückt den Empfänger durch die Schönheit
und Harmonie der vielen unterschiedlichen Farben, Formen, Düfte, Augenreize.
Ich stehe nicht an zu sagen: Der hier vorgelegte
Geburtstagsgruß ist ein floristisches Meisterwerk der Kollegensympathie und
zugleich der Architekturwissenschaft.
Friedrich Möbius, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, Band
63 (2012)