Friederike Rupprecht (Hg.)

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Die Bibliothek im Kloster Stift zum Heiligengrabe von 1600 bis 1900

 

Die bei Kombinationen der Stichwörter »Kloster« und »Bibliothek« naheliegende Assoziation mit handschriftlichen Pergamentcodices, Wiegen- und Frühdrucken wird im hier vorgestellten Buch durch den Zusatz zum Sachtitel »von 1600–1900« von vornherein unterbunden. Das älteste Buch der Sammlung ist anscheinend Sig­mund Feyerabends »Beschreibung vom Ursprung, Anfang und Herkommen des Adels« aus dem Jahr 1568. Das 17. Jahrhundert ist im Bestand der »Historischen Bibliothek«, wie die Heiligengraber Stiftsbibliothek zur Unterscheidung von der Büchersammlung der ehemaligen Erziehungsanstalt für Mädchen in Heiligengrabe genannt wird, mit gut zwei Dutzend Bänden spärlich, die erste Hälfte des 18. Jahr­hunderts mit etwas mehr als 200 Bänden mäßig vertreten. Die Hauptmasse der insgesamt ungefähr 1200 Bände umfassenden Sammlung bilden Publikationen der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Diese und weitere Aufschlüsse zur thematischen Zu­sammensetzung des Bestandes sind dem wichtigsten Teil der vorliegenden Veröf­fentlichung zu entnehmen, dem »Bücherverzeichnis 1600–1900 nach Standort« von Helene Amtmann, die auch den informativen Gesamtüberblick »Die Bibliothek des Klosters Stift zum Heiligengrabe« verfasst hat. Einem Teil­aspekt der Bestandsanalyse ist der Beitrag von Dagmar Jank »Zu den handschrift­lichen Besitzvermerken und zu den Donatoren im 18. Jahrhundert« ge­widmet. Ursula Röper: »Pivat-Uebung und gottseelige Discourse. Lesegewohn­heiten der Heiligengraber Konventualinnen im 18. Jahrhundert« zeigt die wesentliche Bedeutung der Büchersammlung auf. Die Stiftsbibliothek macht die vielseitigen geistigen Interessen von unverheirateten, im Stift lebenden Frauen aus dem (vorwiegend) brandenburgischen Adel im Zeitalter der Spätaufklärung sichtbar. Das Ergebnis kann an dieser Stelle leider nur in einer sehr undifferenzierten Aussage zusammengefasst werden: Die adligen Damen im evangelischen Stift Heiligengrabe nahmen an den geistigen Strömungen des friderizianischen und frü­hen nachfriderizianischen Preußen voll teil. Gewiss beschäftigten sie sich mit reli­giösen Fragen, nicht nur in enger konfessioneller Gebundenheit, aber sie interes­sierten sich nach Ausweis der umfangreichen Bucherwerbungen unter der Äbtissin Juliana Augusta Henrietta von Winterfeldt (1740–1790), verstärkt seit 1775, eben­so für die weltlichen Dinge wie Geographie, Philosophie, Geschichte und Belletri­stik. An einer ansehnlichen Librettosammlung (analysiert von Claudia Terne) ist lebhaftes Interesse am Berliner Opernleben erkennbar. Mehrere für sich genommen teilweise recht interessante Artikel hängen nur am dünnen Faden mit dem Heiligengraber Buchbestand zusammen, so z.B. Beiträge über den Historiker Charles Rollin, den Naturwissenschaftler Comte de Buffon oder über eine Predigt im Berliner Dom aus dem Jahr 1892. Die Abhandlung von Sarah Romeyke über die Bücher der Heiligengaber Erziehungsanstalt, die von 1847–1945 der Unterkunft und Unterrichtung von Mädchen diente, stellt eine sinnvolle Ergänzung dar. Landeskundler werden begrüßen, dass Martin A. Völker einen Abdruck der »Anmerkungen über die Prignitz (1781–1787)« von Gottlob Joachim Hindenberg besorgte. Auch porträtiert Völker den Heiligengraber Stiftsprediger Hindenberg, der in den Jahren der Äbtissin von Winterfeldt und danach bis 1803 maßgeblichen Anteil am Ausbau der Heili­gengraber Stiftsbibliothek hatte.
Günther Wiegand, in: Das Historisch-Politische Buch, 61. Jahrgang (2013)