Thomas Flierl (Hg.)

Max Lingner

Das Spätwerk 1949–1959

Chronik, Aufsätze, Erinnerungen, Dokumente

 

Welche Verve, welche An­mut! Max Lingner malte 1949, gerade zurück aus der französischen Emigration, vor strahlend blauem Bildgrund die jungen, schwarzhaarigen, ko­ketten »Weintraubenverkäufe­rinnen in Nimes«. Der Maler und in Paris beliebte Zeichner der KP-Zeitung »Humanite« brachte den »Stil populaire« von der Seine an die Spree, und diese Art zu malen, sollte mit aller Kraft helfen, das neue, bessere Deutschland mit einer Gesell­schaft der Freien unter Freien und Gleichen unter Gleichen aufzubauen. Lingner, damals schon 61, hatte diesen Traum von der DDR. Und seinem Arzt sagte der schon schwer herz­kranke, von den Strapazen des französischen Internierungslagers während der deutschen Be­setzung arg geschwächte Künst­ler, er brauche noch zehn Jahre, denn er wolle »noch den neuen Reichstag ausmalen«.
Davon, auch von der erst glücklichen, dann zunehmend von der stalinistischen Forma­lismus-Debatte belasteten Ar­beit am Fries für das Haus der Ministerien erzählt jetzt in Bild und Text ein Kunstband des Lu­kas Verlags Berlin, herausgege­ben von Thomas Flierl. Erstmals überhaupt wird darin Max Lingners Spätwerk 1949–1959 vorge­stellt, interpretiert, untersucht, eingeordnet in die deutsch­deutsche Kunstgeschichte der Nachkriegszeit. Einen besonde­ren Raum geben der Herausge­ber und seine namhaften Mit­autoren in ihren Aufsätzen und in akribischen Dokumentationen – etwa der Skizzen und Vorarbei­ten des vor etlichen Jahren res­taurierten Frieses am heutigen Finanzministerium. Erst heiß ersehnt, war das Werk nach Fer­tigstellung – und nachdem Otto Grotewohl, der hobbymalende Ministerpräsident, die Figuren »sozialistisch realistisch« korri­giert, ergo pathetisch versteift und uniformiert hatte – nicht mehr das, was Lingner gewollt hat: ein rhythmisch-fröhliches, weltbürgerliches Fest am 1. Mai, ein schwungvolles Stück moder­ner Volksfront.
Noch ehe das Bild an die Wand kam, starb der Maler. Die Auseinandersetzungen um sei­nen Stil waren Gift für sein kran­kes Herz. Lingner, geachtet als Kunstakademiemitglied und bei den Kollegen, muss sich bis zur Qual gemüht haben, dem gegen ihn erhobenen Vorwurf des For­malismus zu entkommen. Auch das wird im Buch eingehend be­schrieben. Es berichtet von der vertanen Chance, gerade auch durch diesen aus dem Westen heimgekehrten Maler eine kunstfördernde Vereinigung von Sozialismus und Moderne her­zustellen. Das Buch wird Max Lingner sehr gerecht.