Isabel Skokan

Germania und Italia.

Nationale Mythen und Heldengestalten in Gemälden des 19. Jahrhunderts

 

 

Skokan unternimmt das komparatistische Wagnis, die mythopoetischen Anstrengungen der beiden Nachzügler im Kreis der modernen europäischen Nationalstaaten im Spiegel populärer Kunst auszuleuchten. Im Einleitungsteil erläutert sie ihren Leitbegriff »nationaler Mythos« und skizziert die »politische Rolle« der Malerei im 19. Jahrhundert sowie die Verbreitung des Mediums. Ziel der Studie ist es, »die manipulierende Wirkung bildlicher Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert bei der bewußt gesteuerten Entwicklung von Nationalstereotypen zu erfassen und zu begründen«. Die fünf Hauptkapitel untersuchen Abbildungen nationaler Symbolfiguren: von den weiblichen Personifikationen der Germania und der Italia in den verschiedenen Etappen des Risorgimento über Ereignisse und historische Personen (Sizilianische Vesper, Dante, Luther, Friedrich der Große etc.) bis hin zu den »neuen Helden«, zu denen die Autorin unter anderen Vittorio Emanuele II., Bismarck, Moltke oder Garibaldi zählt. Skokan betont die Unterschiede bei den nationalen Attributen und Identitätsangeboten: Während sie im Selbstbild der Deutschen eine dominante Tendenz zur symbolischen Vergegenwärtigung militärischer und politischer Macht wahrnimmt, erkennt sie in den Projektionen italienischer Künstler die Betonung der »kulturellen« Rolle Italiens im Kreis der Völker. Während sie in den deutschen Nationalhelden eher den Appell zur »Gefolgschaft« verkörpert sieht, deutet sie die italienischen patriotischen Szenen und Gestalten als Aufruf zur »Solidarität«. Und während die deutschen Idealführer als reife, würdige Herren dargestellt werden, die sich über Autorität und Tradition legitimieren, scheint Italiens Pantheon von opferbereiten, todesmutigen Jünglingen einfacher Herkunft bevölkert, die man als revolutionäre Wunsch-Selbstbilder einer erst noch zu schaffenden Nation deuten kann. Die Autorin hat ein eindrucksvoll breites Bildmaterial gesichtet; das Buch bieterzahlreiche Abbildungen in guter Qualität. Skokans komparatistischer Ansatz bleibt allerdings unterkomplex, wie die Studie überhaupt konzeptionell und sprachlich schlicht ist. Unerfreulich sind sachliche Fehler, die den historisch-politischen Kontext, besonders der italienischen Geschichte, betreffen. Es irritiert, daß die angenommenen nationalpopularisierenden »Wirkungen« der Kunstwerke eher impressionistisch behauptet als vor dem ästhetischen, religiösen und soziokulturellen Erwartungshorizont der Zeitgenossen plausibel gemacht werden. Die Wechselwirkungen von Projektion, Konstruktion und historischer Faktizität von »Volkscharakter« oder »nationalem Typus« werden ebensowenig hinterfragt wie die Setzung des Nationalstaats als Telos der Geschichte. Damit begibt sich die Autorin in einen Zirkelschluß, in dem Voraussetzung, Begründung und Schaffung nationaler Identität in eins fallen.
Christiane Liermann, in: Das Historisch-Politische Buch, Heft 4 2009 (57. Jg)