Wieland
Förster
Der Andere. Briefe an Alena
Friedrich K. ist dick, sein Fett schwabbelt, er schwitzt
leicht. Zur Feier seines 50. Geburtstages lädt er frühere Studienfreunde ein,
um mit ihnen eine Reise nach Prag zu machen. Die Studienfreunde verpassen – man
ahnt es: mit Absicht – die Abfahrt. Stattdessen trifft er auf die Pragerin
Alena, die mit ihm für die Dauer der Reise das Zugabteil teilt. Da überkommt
ihn »ernst wie niemals zuvor, der Wunsch ein Anderer zu sein«. Der Briefroman
Wieland Försters, geschrieben 1982/83 in der DDR, hatte erst 2009 die Chance,
veröffentlicht zu werden. Zu heftig ist die Kritik, die Förster durch seine
Figur am seinerzeit herrschenden politischen System übt, zu anders ist der
Elektroingenieur, dessen Leidenschaft die Nachtschichten in der Leitwarte des
E-Werkes sind. Friedrich ist außerordentlich belesen, in klassischer Musik
gebildet, er zitiert aus Flauberts und Kafkas Briefen. Und er schreibt selbst
44 Briefe in wertherscher, empfindsamer, erdrückender Art an eine
unerreichbare, verheiratete Frau, die er zu lieben meint, die ihn sein Inneres
nach außen kehren lässt. Wieland Förster ist in der bildenden Kunst u.a. durch
ausdrucksstarke Portraitbüsten wie die von Pablo Neruda oder Heinrich Böll
bekannt. Hier nun legt er buchstäblich mit Worten die Figur des Friedrich K. frei,
schält sie gleichsam heraus aus beruflich-monotonen Abläufen, aus alltäglichen
Bewältigungen des Lebens und dreht sie vor unseren Augen, bis wir vielleicht
auf eine Seite stoßen, die unser Interesse an ihr weckt. Der Schmerz dieses
Friedrich, sein Überschwang auch, seine devoten Geständnisse sind in großer
sprachlicher Vielfalt erzählt, seine Geschichte ist in all ihrer Tragik vor
allem deshalb so außerordentlich bewegend, weil Wieland Förster seine
exzellente Fähigkeit zeigt, auch schreibend meisterhafte Figuren zu schaffen. Der
Künstler Wieland Förster ist in der Gemeinschaftsaustellung »Förster. Heisig. Metzkes.
Stötzer« noch bis zum 4. Oktober im dkw zu sehen.
Kathrin Krautheim in buchäcker im Oktober
2009
Düster waren die Zeiten, in denen der Bildhauer Wieland
Förster, der seit jeher eine Ader für Literarisches besitzt, seinen Roman »Der
Andere« abschloss. Man schrieb das Jahr 1983: Die bleierne Ära des Sozialismus
erreichte den Gipfelpunkt von Tristesse und Resignation. Der Künstler begrub
sein Manuskript freiwillig in der Schublade, wohl wissend, dass es im
DDR-Kulturbetrieb chancenlos bleiben musste, weil es massive Kritik am
politischen Milieu enthielt. Ein Vierteljahrhundert später erscheint der Text
jetzt erstmalig und beeindruckt nicht allein durch sprachliche Bündigkeit,
sondern auch durch den Plot. Nur wenige Werke, die an ideologischen Schranken
des Honeckerschen Stalinismus scheiterten und nun die Leserschaft überraschen,
überzeugen so unbedingt. Zweifellos handelt es sich hier um eine Entdeckung von
Format.
Förster schildert in beeindruckenden Szenerien das Leben eines seelisch tief
Gedemütigten und Verletzten. Der Elektriker Friedrich K. schaffte es, sich nach
dem Zweiten Weltkrieg vom Handwerker zum Ingenieur hinaufzudienen, doch seine
Qualifikationsmühen rentierten sich kaum. Auch als Fachschulabsolvent schob er
monotone Nachtschichten in der Leitwarte einer Elektrizitätsfabrik, um sich ein
bescheidenes Auskommen zu sichern. Nach Feierabend ergötzte er sich an schönen
Büchern und klassischer Musik. Doch der Feingeist hatte einen entscheidenen
Makel: seine Fettleibigkeit. Bei jeder Gelegenheit hänselten ihn Kollegen und
Freunde wegen seinen trägen Körpers. Auch Inge, die Frau, die er liebte,
vermochte seine Korpulenz schwer zu ertragen. Dennoch ließ sie sich von ihm
schwängern. Doch die Beziehung, die in den fünfziger Jahren anhob, verlief
tragisch. Sie endete mit einer Abtreibung und Inges Flucht in den Westen.
Angelegt ist diese Geschichte einer gescheiterten Existenz in der Tradition des
tragischen Briefepos, die bis zu Goethes »Leiden des jungen Werther«
zurückreicht. Friedrich K., den seine Exkommilitonen am 50. Geburtstag reuelos
im Stich lassen, beichtet das Elend seines Daseins einer Reisebekanntschaft
namens Alena. In 44 Episteln ringt er um ihre Zuneigung: »Schreibend reiße ich
alle Mauern nieder, überwinde Klüfte und riesige Entfernungen«. Das Echo bleibt
aus. Die Pragerin reagiert nicht auf seine Nachrichten, und so mutieren
Friedrichs Bestrebungen der emotionalen Befreiung zu einem beklemmenden
Monolog.
Wieland Förster wählt für dieses Selbstgespräch einen pathetischen Stil, der
das Elend seines Helden unterstreicht. Dieser inbrünstige Ton, der in der
Postmoderne in Verruf geriet, erweist sich als der Materie durchweg angemessen.
Ulf Heise in der Leipziger Volkszeitung
am 28. August 2009
Ein gutes
Buch? Zweifellos! Es wäre ein noch besseres geworden, hätte man es haben
können, als es geschrieben war. Aber Wieland Förster, der viel lesende und
gelegentlich dichtende Bildhauer, musste es 1983 in der Schublade verschwinden
lassen. Er versuchte gar nicht erst, das Manuskript zum Druck einzureichen.
Kein Zensor hätte sein Placet gegeben. Nicht bloß, weil Förster die DDR hier
als bleiernes Staatswesen porträtierte. Ulbrichts 50er-Jahre-Stalinismus
genügte ihm für diesen Text als Folie. Subversiver war, dass er so unnachgiebig
der Freiheit des Individuums das Wort redete beziehungsweise darüber, wie einem
Menschen, der anders ist als andere, Respekt und Zuwendung verweigert werden.
Das wich doch arg vom Selbstbild der real regierenden Sozialisten ab.
»Der Andere« heißt in diesem Fall Friedrich K., ist ein gelernter Elektriker,
der sich zum Ingenieur hinaufstudiert und sein Geld mit einsamen Nachtschichten
in der Leitwarte eines Elektrizitätswerkes verdient. Zum »nicht gern Gesehenen,
nicht recht Dazugehörigen« wird er durch seine Leibesfülle. Als Dicker,
Fettwanst, Schwabbel richtet er seine Berliner Mansarde als Enklave des
Schöngeistigen ein und tröstet sich mit Büchern und Musik. Seinen
50. Geburtstag möchte er trotzdem mit ehemaligen Kommilitonen in Prag
feiern: Doch niemand erscheint am Gleis. Stattdessen begegnet er im Zugabteil
der Tschechin Alena – und dieser unbekannten Frau offenbart er Leid und Lust
seines vergangenen und gegenwärtigen Daseins. Nicht gleich auf der Fahrt,
sondern nach seiner Rückkehr – in 44 Briefen.
Die Epistel werden zum Monolog. Denn der von allen Erniedrigte und Beleidigte
wirbt vergebens um die verheiratete Adressatin. Seine verliebten Jeremiaden
bleiben unbeantwortet, was die Seelenbeichte aber erst recht zu einer
fortgesetzten macht. Einer, die der Belästigung mehr als nahe kommt. Heute
würde derlei als Stalking zum Straftatbestand. Doch Alena erinnert ihn zu sehr
an Inge, die seine Zuneigung nie ernsthaft erwidert hatte, gleichwohl von ihm
schwanger wurde und der er das gemeinsame Kind mit abtreiben half.
Förster buchstabiert hier seinen Willen zur Literatur. Formal orientiert er
sich an Briefromanen wie Rousseaus »Neuer Heloise«, de Laclos’ »Gefährlichen
Liebschaften« oder Goethes »Werther«. Der Ton ist hoch und nicht immer
pathosfrei. Ins Überlebensgroße verschiebt sich aber nichts. Die von keiner
Mode beeindruckte Sprache dieses Friedrich K. passt zu seiner erzwungenen
Außenseiterexistenz und zu der Resignation, mit der er diese als die ihm gemäße
annimmt und, ja, kultiviert. Am stärksten hallt indes die Präzision nach, mit
der Förster die gesellschaftlichen Techniken schildert, die Ausgrenzung möglich
machen. Dafür dürften seine Erfahrungen im NKWD-Speziallager Bautzen und das
bis 1973 währende Ausstellungsverbot wegen Pessimismus und Formalismus ein für
alle Mal prägend gewesen sein.
Försters Maxime stammt von dem französischen Hymniker Saint-Johne Perse:
»Zeugnis ablegen für den Menschen.«
Frank Kallensee in der »Märkischen
Allgemeinen« vom 13. Mai 2009
[…] Der Osten scheint noch immer nicht zu Ende erzählt zu
sein. Bücher tauchen auf, von denen keiner ahnte. Zum Beispiel Wieland Försters
»Der Andere«. Förster, 1930 geboren, ist eher als bildender Künstler bekannt,
hat aber immer auch geschrieben. »Der Andere«, entstanden Anfang der achtziger
Jahre, besteht aus Briefen, die ein »nicht recht Dazugehöriger« aus Berlin an
eine Bekannte aus Prag schreibt. Schon die Briefform – der Brief als Medium der
Innerlichkeit – verrät viel über einen Staat, der seine Bewohner seit den
siebziger Jahren in private Nischen drängte. Warum das Buch damals nicht
erschienen ist, kann Förster am Donnerstag in einem ehemaligen ostdeutschen
Dichterrefugium klären; dem Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshorst. […].
Steffen Richter im »Tagesspiegel« vom 12.
Mai 2009
Wieland Förster ist seit Mitte der sechziger Jahre vor
allem als bildender Künstler
bekannt. Aber er hat sich auch in anderen Bereichen, z.B. der Literatur
umgetan: Tage- und Reisetagebücher,
Essays, Theaterstücke,
Gedichte und Erzählungen
gibt es von ihm. Anfang der 80er Jahre schrieb er den Roman »Der Andere. Briefe an
Alena«, der nun, zweieinhalb Jahrzehnte später, erschienen ist. Für die DDR-Zensur war
dieser sehr eigenwillige Briefroman natürlich ein Unding. Der Briefschreiber heißt Friedrich K., ist fünfzig Jahre alt, dick
und schwitzt viel. Sein Innenleben ist musisch und poetisch, sensibel und
reflektiert. Der beschriebene DDR-Alltag deckt sich nicht mit der offiziellen
Selbstdarstellung der DDR, bei der die empirischen Wahrheiten hinter denen der
Partei zurückzutreten
hatten. Auch die Menschen im Arbeiter- und Bauernstaat machen Friedrich das
Leben nicht gerade leicht. Und die Adressatin seiner rückblickenden,
zunehmend intimen Briefe, Alena Stösslová aus Prag, die er schicksalhaft zufällig im Zug kennen
gelernt hat, beantwortet nicht einen der insgesamt 44 Briefe. Heute würde man Friedrich
einen Stalker nennen. Oder schreibt er an ein imaginiertes »Alenaphantom«? Eine
Projektion, die er mehr und mehr liebt, mit sexuellen Phantasien belegt und der
er sein Innerstes anvertraut. Man kennt den Reiz monologischer Briefromane und
ihrer meist tragischen Enden. Förster
spielt mit dieser Tradition und ihren Möglichkeiten und entwirft das Bild eines Anderen,
ein Bild stellvertretend für
all die Menschen, die anders sind als die Norm.
Franz Huberth, in: Kunst und Kultur. Zeitschrift der ver.di, Jg. 16, Nr. 2,
2. Mai 2009
Wieland Förster, geborener Dresdner, der seit 1959 in Berlin
lebt, gehört zu den vielseitigen Künstlern. Bekannt sind seine Plastiken,
Bilder und Graphiken. Daneben ist der 79-Jährige aber seit den siebziger Jahren
auch als Schriftsteller an die Öffentlichkeit getreten.
Jetzt hat er in einer Veranstaltung der Sächsischen Akademie der Künste im
Dresdner Blockhaus erstmals seinen neuen Roman »Der Andere - Briefe an Alena«
vorgestellt. Das Besondere daran: Das Manuskript hat Wieland Förster 1983
abgeschlossen und beiseitegelegt. Einen Versuch, es veröffentlichen zu lassen,
habe er nie unternommen, sagte er bei der Lesung. Gewiss hätte er mit dieser
Geschichte gegen die Zensur keine Chance gehabt. Bis auf stilistische
Feinheiten hat er nichts daran verändert, wie er versichert. Das Erstaunliche
nun ist: Die politischen Umstände, in denen diese Geschichte angesiedelt ist,
haben sich geändert, manche Probleme stellen sich so nicht mehr, von ihrer
literarischen Wirkungskraft jedoch hat die Geschichte nichts eingebüßt. Warum?
Weil die zu DDR-Zeiten all gegenwärtige Politik am Rande bleibt, im Zentrum
dafür ein existentieller Konflikt steht, der einen auch heute tief berührt: Es
geht um eine unfreiwillige Existenz am Rande der Gesellschaft, um die
gesellschaftlichen Mechanismen von Zugehörigkeit und Zurückweisung. Um die von
Krisen erfüllte Suche nach dem unverwechselbar Eigenen. Und darum, dass die
wahre Existenz womöglich nur in der Kunst gelingt.
Eine höchst widersprüchliche Figur, die der Autor uns in 44 undatierten Briefen
vor Augen stellt. Dieser Friedrich K. ist fettleibig, was ihn schon als Kind
zum Ausgestoßenen gemacht hat. Er betrachtet sich mit Selbstverachtung, hält
sich für hässlich, schwitzt. Dieser »nicht gern Gesehene, nicht recht
Dazugehörige« hat diese Zurückweisung durch andere verinnerlicht – als
gebrochenes Selbstbewusstsein. Der gelernte Elektriker, der auch studiert hat,
haust in einer Bruchbude unter dem Dach eines Berliner Mietshauses, verdient
sein Geld mit einsamen, monotonen Nachtschichten in der Leitwarte der
Elektrizitätswerke. Diese völlig anspruchslose Außenseiter-Existenz jedoch
verschafft ihm den Freiraum, sich intensiv mit Malerei, Musik und Literatur zu
beschäftigen.
Zu seinem 50. Geburtstag lädt er ehemalige Kommilitonen zu einer Zugfahrt
nach Prag ein. Keiner jedoch erscheint. Stattdessen trifft er eine Tschechin,
Alena Stösslova, die verheiratet ist und einen Sohn hat.
Diese Begegnung löst einen emotionalen Dammbruch in ihm aus. Er schreibt der
Frau leidenschaftliche Briefe. Offenbart ihr sein Innerstes. Diese sprachlich
gediegene und kraftvolle Seelenbeichte führt uns in die 50er Jahre, die
Studentenzeit des Friedrich K. Wir erfahren von seiner unglücklichen Liebe zu
einer Kommilitonin, die seine Zuneigung nicht erwidert, dann aber von ihm
schwanger wird. Das Ungewöhnliche an der sehr detaillierten Schilderung des
illegalen Schwangerschaftsabbruchs: wie stark innerlich beteiligt dieser Mann
an dem Vorgang ist. Als er den männlichen Fötus sieht, fühlt er sich des Mordes
an seinem Sohn schuldig. Das ergreift einen als Leser ungemein.
Alena, die Adressatin, antwortet nicht, wird zur »unwirklichen Geliebten«.
Alles Werben ist vergebens, aber äußerst produktiv. Mit den Briefen des
abermals Unglücklichen entsteht ein Lebenswerk. Zumal die Geschichte, nur so
viel sei verraten, tragisch endet.
Dem Anderssein Friedrich K.s entspricht sehr genau dessen Sprache, die gänzlich
unberührt von Moden und Zeitgeist daherkommt, gleichwohl genau ist; die
philosophische Höhe erreicht, gleichzeitig lebendig, sinnlich und sinnenfreudig
beschreibt.
Tomas Gärtner, in: Dresdner Neueste
Nachrichten 23.04.2009
Wenn sich ein Dicker zu Gefühlen bekennt, wirkt das schnell
lächerlich oder peinlich. Wenn der Dicke, wie Friedrich K. in Wieland Försters
neuem Buch, seine Gefühle während der Nachtschichten im
Stromversorgungsleitstand in einem nicht enden wollenden Strom von Briefen an
eine fast Fremde in Prag ergießt, die noch dazu wenig Deutsch spricht und nie
antwortet, könnte sich das bis zur Komik steigern. Das aber vermeidet der Autor
strikt. Seine Hauptfigur stellt sich dar in wohltuend altmodischer, präziser
Sprache. K. bekommt tragisches Format, gerade weil er bei aller Ernsthaftigkeit
und bei allem charakterlichen Reichtum das Lächerliche, Vergebliche nicht ganz
verliert.
Wieland Förster stellte am Dienstag in Dresden bei der Sächsischen Akademie
der Künste, deren Gründungsmitglied er ist, seinen Briefroman »Der Andere.
Briefe an Alena« vor. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Noch-Direktor des
Kupferstich-Kabinetts, Wolfgang Holler, und von Moritz Woelk, dem Direktor der Skulpturensammlung
der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Dies verweist schon auf Försters
eigentliche Profession, der in Dresden Bildhauerei studierte und auch als
Zeichner bekanntwurde. Mit Skulpturen wie der gebrochenen Siegesgöttin »Nike«
am Landtag oder dem »Großen Trauernden« am Zwinger ist er in seiner Heimatstadt
gegenwärtig.
So war seine Buchvorstellung in Dresden auch etwas wie eine Heimkehr, und
er wurde vom Dresdner Publikum mit Sympathie aufgenommen. Das war nicht immer
so, das Leben des 1930 Geborenen schlug bedenkliche Kurven, wie 1946 mit einer
Verurteilung zu Zwangsarbeit in Bautzen wegen angeblichen Waffenbesitzes.
Nach dem Studium war er Meisterschüler bei Fritz Cremer an der Berliner
Akademie der Künste. Später wechselten sich Verbote und Ehrungen für den
eigenwilligen, sehr genau nicht nur die menschliche Figur, sondern auch die
menschliche Gesellschaft beobachtenden Künstler ab, bis er Professor und
Vizepräsident der Berliner Akademie wurde. Aus ihr trat er nach 1989 wegen
fehlender Vergangenheitsaufarbeitung aus.
Ihm kann man so etwas nicht nachsagen. In seinen bildhauerischen Arbeiten,
aber auch in literarischen Schriften hat er die DDR-Vergangenheit schon mit
deutlicher Kritik analysiert, als sie noch Gegenwart war. So konnten Bücher wie
»Der Andere«, das 1983 fertig geworden war, in der DDR nicht erscheinen.
Heute erweist sich dieses Buch als kluge und differenzierte Schilderung der
Zeit von den Fünfzigerjahren bis etwa 1980, aber es lässt an Deutlichkeit
nichts vermissen. Es stellt einen Außenseiter vor, der sich in seinem Leben in
der bleiernen DDR eingerichtet hatte. Dabei ist Friedrich K. nicht Prüfstein
für Thesen, sondern eine lebendige literarische Gestalt. Förster, der heute im
Alter keine seiner überlebensgroßen unheroischen Plastiken mehr schaffen kann,
ist immer noch in der Lage, sie aus Wörtern auf Papier entstehen zu lassen. Die
Verwandtschaft der einen mit den anderen ist unübersehbar.
Förster schreibt hier nicht autobiographisch, sondern mit Distanz zu
Friedrich K., auch mit Bezügen zur Literatur der Klassischen Moderne. Bei allem
Realismus hält er seinen Spannungsbogen und baut auf die Kraft seines
Gleichnisses. Doch seine Prosa ist nach eigenem Bekunden nicht vorab
konstruiert, sondern entsteht aus dem Fluss des Schreibvorgangs, den der Autor
bewusst mit der Hand vornimmt.
Gundula Sell in: Sächsische Zeitung,
23. April 2009