Matthias Helle

 

Nachkriegsjahre in der Provinz

 

Den Zeitgenossen ist der Begriff Zauche kaum noch geläufig, geschweige dass sie ihn historisch-geographisch exakt zuordnen könnten. Dabei handelt es sich um eine frühe brandenburgische Kernregion, die in der Neuzeit zwar ihre einstige Bedeutung einbüßte, als Landschaft sich im Bewusstsein der Menschen aber noch lange erhielt, ehe sie in ihrer Struktur der politisch-administrativen Zentralisierung von 1952 zum Opfer fiel. Bei der Rückkehr zur Länderstruktur 1990 und der Neubildung der Landkreise in Brandenburg 1993 spielte die Zauche keine Rolle mehr – zu sehr hatten sich die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse verändert.
Die Zauche war der ursprünglich brandenburgisch-preußische Anteil des 1815 als Teil der neu entstandenen Provinz Brandenburg gebildeten Kreises Zauch-Belzig, in dem sie mit dem vormals sächsischen Amtsbezirk Belzig-Rabenstein verschmolz. Dieser Kreis überstand das Kriegsende 1945 und – wenngleich schon etwas gestutzt – auch die Gründung der DDR 1949, jedoch nicht die Verwaltungsneugliederung von 1 952. Mit der Neugründung des Landkreises Potsdam-Mittelmark wurde nur bedingt an den alten Kreis angeknüpft, was im Ergebnis vieler nicht umkehrbarer Entwicklungen nicht verwundern konnte, hatte man bei der Verwaltungsgliederung 1993 doch moderne und angemessene Strukturen zu schaffen. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass die sowjetische Besatzungsmacht bei Kriegsende zunächst einen Großteil der vorhandenen territorialen Verwaltungsstrukturen übernahm, obwohl diese gar nicht den eigenen Prämissen zur Gestaltung der Staatsmacht entsprachen. Deutschlandpolitisch und im Nachkriegschaos auch pragmatisch war dies hingegen der praktikabelste Weg.
Wie die Besatzungsmacht und die von ihr eingesetzten neuen politischen Kräfte damit umgingen, was dies für die Bewohner bedeutete, wie sich das politische System und die Wirtschaft nunmehr entwickelten – das untersucht der Autor in seiner quellengesättigten Studie. Ausgewertet wurden vor allem die Akten des Zauch-Belziger Landratsamtes, die im Brandenburgischen Landeshauptarchiv lagern, darunter des Informationsdienstes der Kreisverwaltung, der früh mit nachrichtendienstlichen Methoden Material jenseits der offiziellen und häufig geschönten Berichterstattung zusammentrug. Hinzu kommen Zeitzeugenbefragungen durch den Autor selbst. Ausführlich untersucht werden in der Studie die Verwaltungsbehörden, die politischen Parteien und die sogenannten gesellschaftlichen Organisationen sowie – soweit es die zugänglichen Quellen und die verfügbare Literatur erlauben -Struktur und Tätigkeit der sowjetischen Besatzungsmacht im Kreis. Bei der Wirtschaft geht der Autor vorrangig auf die agrarischen Entwicklungen ein, handelte es sich doch um eine vorrangig landwirtschaftlich geprägte Region. Schwerpunkte bilden die Bodenreform, die Neubauernproblematik im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsproblem, die weiteren staatlichen Eingriffe in die wirtschaftliche Freiheit des Bauernstandes durch Pflichtablieferungen und die Schaffung eines staatlichen Monopols bei landwirtschaftlichem Großgerät, also die Schaffung von Maschinen-Ausleih-Stationen (MAS) und des konditionierten Zugangs der privaten Agrarbetriebe auf deren Gerät.
Soweit sehr solide. Die ganze Dimension des Wandels wird dabei dennoch nicht erfasst. Das liegt weniger daran, dass die Prozesse nicht ausführlich und differenziert geschildert werden. Zum einen aber wertet der Autor die Veränderungen und Eingriffe zu einseitig als Umsetzung des Machtanspruchs der KPD-Führung – was diese natürlich waren – und vergisst, dass die Bodenreform z.T. auch eine Antwort auf die bis dahin immer noch ungeklärte Agrarfrage im Osten Deutschlands mit ihren völlig ungerechten Besitzverhältnissen aus vorindustrieller Zeit war. Zum anderen dringt der Autor bei der Beschreibung und Analyse der Agrargesellschaft nicht genug in die Tiefe ein, was Vergleiche – um die es aber sehr oft geht, um Prozesse zu verdeutlichen – nahezu unmöglich macht. Wie präsentierte sich die soziale Struktur vor Kriegsbeginn bzw. bei Kriegsende? Wie gingen die agrarischen Schichten miteinander um, wer bestimmte über wen, welche Rivalitäten und Erwartungen existierten? Zwar finden sich hierzu in der Untersuchung einige Ansätze, doch gerade hier hätte man sich mehr Substanz gewünscht. Das betrifft auch die Frage, ob und in welchem Maßesich die Agrargesellschaft durch die NS-Herrschaft verändert hatte, wie die Beteiligten damit nach Kriegsende umgingen und in welchem Maße auch dies die Nachkriegsentwicklung beeinflusste. Diese Frage bezieht sich übrigens auch auf die anderen sozialen Gruppen im Untersuchungsterritorium, die in der vorliegenden Untersuchung erschreckend blass bleiben und als Akteure weder ausreichend vorgestellt noch dargestellt werden. Wie und wo lebte die Arbeiterschaft, in welchen Berufen und welchen Betrieben waren sie tätig? Wer war das Bürgertum in Zauch-Belzig, wie veränderte sich dessen Einfluss auf die Gesellschaft und wie reagierte es auf die politischen und sozialen Veränderungen jener Zeit? Nichts oder viel zu wenig erfahren wir von den Lehrern, von den Ärzten, Rechtsanwälten und anderen Vertretern der freien Berufe und den Selbständigen einschließlich den Handwerkern – weder von ihrem Leben noch von ihrem Schicksal im Zuge der rasanten Veränderungen jener Zeit. Immerhin geht der Autor auf die Verwaltungsbeamten sowie die Justiz- und Polizeiangehörigen ein, aber wiederum zu wenig auf den Elitenwechsel insgesamt. Gerade auf diesen Feldern hätten sich intensive Untersuchungen angeboten, die aufgrund des begrenzten Territoriums eines Landkreises sehr detailliert und exakt hätten ausfallen können. Kultur- und kirchengeschichtliche Aspekte klammert der Autor von vornherein aus, wohl wissend, dass gerade im agrarischen Bereich die Kirche über eine starke Position verfügte. Zur Siedlungsstruktur erfahren wir auch nichts. Ausführlich geschildert wird die Vertriebenenproblematik im Kreis Zauch-Belzig.
Entstanden ist eine sehr informative Untersuchung, die vor allem die Eingriffe und Veränderungen durch die neuen Machthaber und die dabei gebildeten neuen Strukturen im politischen System und in der Wirtschaft zeigt. Hier leistet die Arbeit wertvolle Beiträge für die Darstellung der brandenburgischen Nachkriegsgeschichte in ihren Teilregionen. Leider kommt die Gesellschaftsgeschichte zu kurz, wo es allein mit der Frage von Beschäftigungsverhältnissen und der Entstehung der neuen Schicht der Neubauern nicht getan ist. Dieser Bereich harrt weiterhin der intensiven Forschung.
Detlef Kotsch, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, 2011