Alkuin Volker
Schachenmayr
Band 24: Abt Karl Braunstorfer
(1895-1978)
Abt von Heiligenkreuz und
Abtpräses der Österreichischen Cistercienserkongregation
Der Verfasser hat nach eigenen Angaben die Zustimmung der
Österreichischen Bischofskonferenz zur Einleitung des Seligsprechungsverfahrens
für Abt Karl Braunstorfer im Jahr 2003 zum Anlass genommen, sich im Zuge der
Erstellung einer kirchenhistorischen Dissertation eingehend mit einer der
größten und für den Zisterzienserorden maßgeblichsten Abtspersönlichkeiten des
20. Jahrhunderts aus dem Stift Heiligenkreuz auseinander zu setzen. Die Frage
nach einem möglichen Grad der Heiligkeit und Tugend kann und soll von einer
wissenschaftlich fundierten Biographie nicht beantwortet werden.
So steckt der „Biograph" gleich zu Beginn sein
Materialfeld ab, indem er die markanten und herausragenden Ereignisse im Leben
Abt Braunstorfers in das Netzwerk der Klostergemeinschaft von Heiligenkreuz,
der Österreichischen Zisterzienserkongregation und des Zisterzienserordens
einbettet, die vielfältigen Einflüsse der wissenschaftlichen Auseinandersetzung
der Zeitgenossen mit Liturgie, Ordensgeschichte und Ordensrecht aufzeigt sowie
die ortskirchlichen und monastischen Strömungen beleuchtet, die einen Menschen
und Mönch prägen.
Als solche „Schwerpunkte" Abt Karls erkennt der
Autor dessen Tätigkeit als Novizenmeister, als der er formend auf die
Klosterjugend eingewirkt hat und während seiner Abtszeit von 1945-1969 viele
Vorhaben gerade auf seine ehemaligen Novizen stützen und bauen konnte. Weiters
ist Abt Karl von einem Reformgedanken innerhalb eines monastischen Klosters
beseelt, der das klösterliche Leben vor das Leben als Pfarrer in einer
inkorporierten Pfarre betont. Dieses monastische Reformvorhaben reichte von der
Wiederbelebung alter Ordensgebräuche bis hin zur Neubewertung der klösterlichen
Armut. Die Gründung neuer Klöster schien dem Abt ein möglicher Weg, einen
Neuanfang von Grund auf zu wagen.
Kaum ein Jahr nach der Wahl zum Abt leitete
Braunstorfer die Restaurierung der Stiftskirche ein, die als ein Spiegelbild
der monastischen Neuorientierung des Stiftes gelten darf. Der Transfer des Chorgestühls
in das romanische Langhaus sollte deutlich machen, dass das Chorgebet wieder
das Zentrum des mönchischen Lebens sein soll. Entsprechend der Wiederbelebung
des monastischen Ideals war der Abt bestrebt, das bisherige Schwergewicht auf
der Seelsorge zugunsten eines Lebens im Kloster zu verschieben. Dementsprechend
setzte er zwei Akzente: Erstens, die Abtretung von weiter entfernten
Heiligenkreuzer Pfarren an die Erzdiözese Wien und zweitens, die Etablierung
eines Chormönchtums.
Die Vertiefung der „Schule des Herrendienstes"
wollte Abt Braunstorfer auch auf die wirtschaftlichen Betriebe des Klosters
ausweiten.
Als Abtpräses der Österreichischen
Zisterzienserkongregation von 1945 bis 1969 wirkte Braunstorfer gerade in
Zeiten der Konsolidierung des Ordens nach dem Zweiten Weltkrieg und in der
Auseinandersetzung mit den Ergebnissen des Zweiten Vatikanums im Generalkapitel
1968-69 als ehemaliger Konzilsvater an der Erarbeitung der „Deklaration über das
Cistercienserleben heute" mit.
Den Schlußpunkt im Schaffen Abt Braunstorfers bildet
die Redigierung und Herausgabe des „Breviarium Sancrucense", das über
weite Teile die Handschrift des emeritierten Abtes trägt und in das der
geschulte Philologe eigene lateinische Texte eingebracht hat.
Die Studie des Verfassers ist auf Quellenmaterial aus
der Feder des Abtes selbst (Persona-lia, Diarien, Vortragsnotizen, Rundbriefe
und eine Auswahl der Korrespondenz) gegründet, zur Erforschung des
Kirchenverständnisses des Abtes zieht sie die von ihm abonnierten Zeitschriften
heran. Als weitere wichtige Quelle dient die Hauszeitschrift des Klosters
„Sancta Crux" mit ihrem aufschlußreichen chronikalen Teil. Nicht zuletzt
arbeitet der Verfasser wegen der zeitlichen Nähe zur untersuchten
Persönlichkeit die „oral history" ein und hat zu diesem Zweck ein
Interview mit dem emeritierten Abt Gerhard Hradil von Heiligenkreuz geführt und
im Wortlaut im Anhang abgedruckt. Die Studie bleibt trotz ihres Detailreichtums
vom Bemühen durchseelt, den Blick immer wieder auf das Ganze zu richten. Man
darf sie deshalb wohl als einen wesentlichen Baustein nicht nur in der
Hausgeschichte des Klosters Heiligenkreuz sondern auch in der Geschichte der
Österreichischen Zisterzienserkongregation in der Nachkriegszeit bis zum Ende der
Sechzigerjahre betrachten.
Petrus Gratzl, in: »UNSERE HEIMAT«, 77.
Jg. 2006, Heft 1-4
Gerade
weil die österreichischen Zisterzienserklöster auf eine lange und lebendige
Tradition zurück blicken dürfen, weil sie sogar in manchen Fällen seit dem
12. Jahrhundert ununterbrochen ihr klösterliches Leben beibehalten
konnten, hat sich über so lange Zeit hin im äußeren Erscheinungsbild eine
Vielfalt herausgebildet, die sowohl beim Vergleich der Stifte untereinander als
auch im konkreten Leben der Stiftsangehörigen zutage tritt. »Patres wirken
heute oft in der Pfarrseelsorge, in Schulen und mitunter in großer Entfernung
von den Klöstern. Da drängen sich Fragen auf, wie etwa: Sind solche Aufgaben
für einen Zisterzienser vertretbar? Kann eine monastische Gemeinschaft die
daraus entstehenden Spannungen ertragen? Karl Braunstorfer hat als Abt von
Heiligenkreuz und Abtpräses der Österreichischen Zisterzienserkongregation von
1945 bis 1969 mit Fragen wie diesen gerungen, nicht zuletzt als Konzilsvater
während des Zweiten Vatikanischen Konzils.«
In der ihm gewidmeten wissenschaftlichen Biographie beleuchtet der Verf. also,
»wie kirchen-und ordensgeschichtliche Strömungen des 20. Jahrhunderts das
Lebenswerk einer der wichtigsten zisterziensischen Persönlichkeiten der Epoche
durchdrangen. Karl Braunstorfers Ordensleben umspannte eine außergewöhnlich
vielschichtige Ära von Monarchie über Ständestaat, Zweiten Weltkrieg,
Nachkriegszeit bis hin zum Aufbruch nach dem Zweiten Vatikanum. Der Autor
schildert Braunstorfers Zusammenarbeit mit einflußreichen Bischöfen und Äbten
anhand von Briefen, Tagebüchern und Notizen führender Persönlichkeiten im Orden
und analysiert sie. Dadurch arbeitet er zugleich Themen auf, die vor dem
historischen Hintergrund aktuell von Bedeutung geblieben sind, wie monastische
Reform, Pietas Austriaca, klösterliche Pfarrseelsorge und Erneuerung der zisterziensischen
Architektur und Liturgie.«
Soweit sei aus dem Einbandext zitiert, der schon ahnen lässt, dass mit diesem
Werk mehr als eine bloße Biographie vorliegt. Stifte mit solch einzigartiger
Tradition stellen doch gerade für den Historiker etwas ganz Besonderes dar.
Neugründungen des 19. und 20. Jahrhunderts etwa wählten zu ihrer Legitimation
vielfach eine bestimmte geschichtliche Situation zum Vorbild und versuchten
diese manchmal regelrecht zu kopieren. Demgegenüber spiegeln österreichische
Stifte das historische Ergebnis eines kontinuierlichen Wandels, wie er wohl
auch »reichsdeutsche« Klöster erfasst hätte, wären sie nicht durch die
Säkularisation untergegangen.
In der herausragenden Persönlichkeit von Karl Braunstorfer begegnen sich diese
beiden Ströme geschichtlich begründeter Mentalitäten: Zum einen steht er für
die wiederholten Anläufe im deutschsprachigen Mönchswesen, zu den Quellen
zurückzukehren, das Leben der Väter nachzuahmen oder einfach nur »observant«
oder »monastisch« zu sein, was immer man sich darunter vorstellen mag. Diese
Mentalität hatte einst die Beuroner ebenso wie die Mehrerauer Kongregation
beflügelt, sie artikulierte sich in den Brüdern Wolter oder durch Prosper
Gueranger ebenso wie in Dominicus Willi oder Sighard Kleiner – und eben in Karl
Braunstorfer. Bei gleicher oder ähnlicher Grundtendenz steht jeder von ihnen
zugleich auch für eine bestimmte Variante, wie das Grundanliegen interpretiert
werden kann. Anders aber als die Genannten steht gerade Braunstorfer für das
stiftliche Selbstbewusstsein, das auf keinen Fall Unterricht und Seelsorge aus
dem monastischen Leben ausklammern möchte. So bekennt sich P. Karl ganz
entschieden zu Frömmigkeitsformen des Barock. Mitzuerleben, wie er sich dann
abmüht, diese beiden Mentalitätsstränge zusammenzuführen und im Klosteralltag
konkret umzusetzen, macht die Lektüre zu einem lehrreichen Erlebnis.
Der Verfasser hat den umfangreichen Stoff sehr geschickt und übersichtlich
aufbereitet. Nach den methodischen Vorüberlegungen (S. 13–28) und dem biographischen
Datengerüst (S. 29–45) untersucht er prägende Einflüsse auf den jungen Mann (S.
46–129). Schon hier sind Ansätze in Theologie und Frömmigkeit zu erkennen, die
mitunter stark abweichen von den Vorstellungswelten mancher Reformergestalt,
wie sie oben andeutungsweise genannt worden sind. Man stelle nur den von der
Pietas Austriaca (S. 46 ff.) oder durch barocke Vorbilder (S.107ff.) geformten
Braunstorfer etwa neben den puristischen Gueranger. Bemerkenswert ist, dass P.
Karl nicht nur von allgemein bekannten Theologen wie Pius Parsch oder J. A.
Jungmann wesentliche Anregungen empfing, sondern auch von Zisterziensern wie
Norbert Hofer, Alois Wiesinger und Matthäus Kurz, nicht zuletzt aber auch vom
Heiligenkreuzer Mitbruder Severin Grill.
Vor diesem geistigen Hintergrund versuchte Karl Braunstorfer eine »Reform der
monastischen Observanz« (S. 134–194), ein Themenblock, der wohl für die
Zeitgeschichte des Ordens am ergiebigsten sein dürfte. Bei dieser Erneuerung
versuchte er, »gelungene Gemeinschaftsstrukturen und Prioritäten aus dem Barock
in die Gegenwart umzusetzen, wie etwa die breitere Auswahl an modernen
Lebensformen als Chormönch oder Konverse« (S. 193), um nur ein Moment zu
nennen. Die Weite der Blickrichtung offenbart sich nicht zuletzt bei der
»Restaurierung der Stiftskirche« (S. 194–229). Das dabei verfolgte Anliegen
beschrieb der Abt seinem Konvent »als Wiederherstellung eines monastischen
Oratoriums, dessen Funktion zwischen 1787 und 1902 von unverständigen
Generationen entstellt worden war.« Eine der größten Herausforderungen bildete
allerdings die Integration der »Pfarrseelsorge des Stiftes« (S. 230–285) in das
neue Konzept, die Braunstorfer anders als manche Rigoristen nie grundsätzlich
in Frage stellte und als vereinbar mit dem Mönchsleben ansah. Als Abt eines
relativ großen Stiftes beschäftigte ihn nicht zuletzt »Wirtschaftliches und
Soziales« (S. 286–304), und das in schweren Zeiten.
Die Jahre, in denen »Karl Braunstorfer als Abtpräses« (S. 305–375) wirkte,
umfassen mehrere Höhe- oder Wendepunkte, angefangen von der Wiederbelebung des
Stiftes Rein 1946 bis zur Teilnahme am Vaticanum II. Nach Abschluss des
Konzils galt es dann, dessen Beschlüsse umzusetzen. In diesem Zusammenhang ist
das »Breviarium Sancrucense« von 1978 (S. 377–408) zu sehen. Nicht nur in
diesem Tätigkeitsbereich erlebt man einen Abt, der bei aller Liebe zu und
Identifizierung mit seinem eigenen Kloster stets dem Gesamtorden und seinen
Interessen verbunden und verpflichtet ist. Als »Mittel zur gemeinsamen
Ausrichtung innerhalb des Ordens« (S. 335) sieht er unsere beiden Zeitschriften
(Analecta und CistC), was zugegeben nicht ohne Genugtuung seitens des
Rezensenten registriert wird.
Den lebendigen Abschluss dieser »Biographie«, die weit mehr ist als das, bilden
ein Interview mit Abt Gerhard Hradil und der Abdruck des letzten Briefes von
Abt Karl an Sighard Kleiner. Ausführliche biographische Notizen,
Quellenverzeichnisse und Bibliographien liefern das Rüstzeug für weiterführende
Studien, zu denen ausdrücklich ermuntert sei. Um die Persönlichkeit des
Heiligenkreuzer Prälaten rankt sich schließlich auch ein Stück
Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts, das sicher nicht auf Österreich
beschränkt ist. Ordensgeschichtlich bliebe jedenfalls zu untersuchen, inwieweit
Heiligenkreuz andere Klöster beeinflusst hat. Dazu gibt es Hinweise gibt, die
aufzuarbeiten lohnend wäre.
Der Rezensent muss es bei der nachdrücklichen Empfehlung dieser überaus
ergiebigen und durchaus auch kritischen Studie belassen, sonst liefe er als
Zeitzeuge Gefahr, den Vorwurf mangelnder Objektivität zu ernten. Jetzt
Einzelheiten aufzugreifen hieße überdies, den tolerierbaren Umfang einer
Rezension sprengen.
HJR in »Cistercienser Chronik« 2006
Der
Heiligenkreuzer Abt Karl Braunstorfer gehört zu den wichtigsten Persönlichkeiten
der österreichischen Kirche des 20. Jahrhunderts. Karl Braunstorfers
Ordensleben umspannte eine außergewöhnlich vielschichtige Ära von Monarchie
über Ständestaat, Zweiten Weltkrieg, Nachkriegszeit bis hin zum Aufbruch nach
dem Zweiten Vatikanum. Indem der Autor Braunstorfers Zusammenarbeit mit
einflußreichen Bischöfen und Äbten anhand von Briefen, Tagebüchern und Notizen
führender Persönlichkeiten im Orden analysiert, leistet er zugleich eine
gründliche Aufarbeitung solcher Themen wie monastische Reform, Pietas
Austriaca, klösterliche Pfarrseelsorge und Erneuerung der zisterziensischen
Architektur und Liturgie. Das vorliegende Lebensbild des Heiligenkreuzer Abtes
ist quellenmäßig und methodisch bestens gearbeitet und vermittelt offen und
kritisch Einblicke in die kirchen- und ordensgeschichtlichen Strömungen und
Entwicklungen des 20. Jahrhunderts. Auf Antrag des Abtes und des Konvents von
Heiligenkreuz gab die Österreichische Bischofskonferenz in ihrer
Frühjahrssitzung 2003 ihre Zustimmung zur Einleitung des
Seligsprechungsverfahrens für Abt Karl Braunstorfer.
Theodor Hogg OSB, Beuron, Erbe
und Auftrag, 82. Jg., Heft 2, 2006