Robert Felfe, Angelika Lozar (Hg.):

Frühneuzeitliche Sammlungspraxis und Literatur

 

Die kultur-, kunst- und wissenschaftsgeschichtliche Beschäftigung mit der Sammlungspraxis der Frühen Neuzeit hat in den letzten fünfzehn Jahren zahlreiche Publikationen hervorgebracht. Vielfach wird allerdings die Ordnung der Sammlung auf jene des Ausstellungsraumes reduziert. Dabei geraten die Interferenzen aus dem Blick, welche die Kunst- und Wunderkammern mit Apodemik, Utopistik und Enzyklopädik aufweisen – um nur einige Felder des kollektionistischen Paradigmas zu nennen, welches Wissenschaft, Kunst und Natur zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert produktiv verbindet. Eine Beschäftigung mit den Wechselwirkungen von Sammlungspraxis und Literatur fand bislang kaum statt. Dass diese Beschäftigung jedoch nötig ist, legt bereits der simple Sachverhalt nahe, dass unser Wissen über Kunst- und Wunderkammern mangels erhaltener Sammlungsräume ganz überwiegend über das Medium Buch erfolgt. Zudem ist das Buch selbst Sammlungsgegenstand, entweder als Objekt der Kunst- und Wunderkammern oder aber in der Bibliothek, die häufig als ein »Widerlager musealen Sammelns« den Naturalia- und Artificialia-Sammlungen beigeordnet ist. Sammlungsraum und Textraum treffen sich aber auch in dem ihnen gemeinsamen religiös-hermeneutischen Programm des »Buches der Natur«, welches die gesamte Physik als Manifestation eines »göttlichen Willens- und Heilsplans« begreift. Vor diesem Hintergrund darf von dem vorliegenden Band ein hohes Maß an historiographischer und medialer Selbstreflexivität erwartet werden.
In seiner Einleitung, dem systematischen Teil des Buches, gelingt dem Kunsthistoriker Robert Felfe, einem ausgewiesenen Experten für das Sammlungswesen der Frühen Neuzeit, eine kleine Meisterleistung: Auf wenigen Seiten bietet er eine äußerst konzise und zugleich sehr umsichtige Bestimmung des Sammlungstyps ›Kunstkammer‹ im Kontext politisch-sozialer, epistemologischer sowie ästhetischer Funktionen und Erfordernisse. Leider verzichtet er darauf, diese Bestimmung auch bibliographisch zu vervollkommnen. Felfe hebt als Kennzeichen der Kunst- und Wunderkammern ganz besonders die »Koproduktivität von natura und artes« hervor. Zwei, gerade auch für das Verhältnis zur Literatur wichtige Tendenzen werden benannt: erstens die Verzeitlichung der Natur im Sinne einer nicht mehr auf Mythologemen basierenden Naturgeschichtsschreibung; zweitens eine zunehmende Abkehr von der ›Oberfläche der Dinge‹ im Zuge einer Valorisierung neuer taxinomischer Kriterien. So differenziert hier auf der Seite der Sammlungspraxis argumentiert wird, so wünschenswert wäre auf der anderen Seite eine spezifischere Verwendung des Begriffes ›Literatur‹.
Neben dem Beitrag Felfes sind zwei weitere Beiträge mit einer generellen Perspektive auf die Sammlungspraxis zu finden. In ihrem ausgreifenden und aufgrund einer regelrechten Bilderflut umfangreichen Beitrag über »Virtuelle Wunderkammern« unternimmt Christel Meier den Versuch, durch die Einbeziehung bislang im Kontext der Kunst- und Wunderkammern wenig erforschter Zeugnisgattungen (mittelalterliche Enzyklopädie und Naturkundebuch, Königshort und Kirchenschatz, Apotheke, Stundenbuch sowie Stillleben) eine noch unbeachtete Genese frühneuzeitlichen Sammelns aufzuzeigen. Ihr Beitrag kann als der sehr anregende Entwurf eines Forschungsprogramms gewertet werden, dessen Hypothesen allerdings erst noch bewiesen werden müssten.
Ein für den gesamten Band programmatischer Charakter kommt dem Beitrag über »Verhüllen und Inszenieren« von Barbara Welzel zu, die sich mit der performativen Praxis in frühneuzeitlichen Sammlungen beschäftigt. Sie weist nach, inwiefern die Ordnung von Kunst- und Wunderkammern als dynamischer Handlungsraum zu verstehen ist, der sich erst über »performative Rezeptionshandlungen« erschließt. Leider bezieht Welzel ihre Ergebnisse jedoch abschließend nicht auf den Zusammenhang von Sammlungspraxis und Literatur.
Warten die bisher vorgestellten Beiträge mit einer übergeordneten Perspektive auf, so widmen sich die nachfolgenden Beiträge Fallstudien im Verhältnis von Literatur und Sammlung. Einige von ihnen seien hier skizziert.
Einen der wichtigsten Sammlungstypen der Frühen Neuzeit stellt Stephan Brakensiek vor, nämlich die »Druckgraphiksammlungen und ihre Funktion als Studien- und Erkenntnisorte«. Dieser im eigentlichen Sinn ebenfalls nicht-literarische Sammlungstyp hat im Kontext dieser Publikation insofern seine Berechtigung, als er gleichsam den ›missing link‹ zwischen der Dingwelt der Kunstkammer und der Symbolwelt der Enzyklopädien darstellt. Am Beispiel der Sammlung Michel de Marolles (1600–81), dem ersten Theoretiker druckgraphischer Sammlungspraxis, zeigt Brakensiek die vielfältigen Parallelen dieser Bilderkollektionen in Buchform zur Theorie und Praxis der Kunst- und Wunderkammern auf, wie sie etwa bei Samuel Quicchelberg und Daniel Major ausbuchstabiert wird. Druckgraphische Sammlungen, dies ist der innovative Kern seiner Argumentation, stellen die Verbindung zwischen den Kunstkammern und den enzyklopädisch ausgerichteten Bildtheorien eines Evelyn, Comenius oder Leibniz dar. Die fast ausschließliche Deutung der druckgraphischen Sammlung Marolles im Kontext der Kunst- und Wunderkammern führt allerdings dazu, dass eventuell näherliegende Bezugspunkte, wie etwa die nahezu zeitgleich entstehende Bildphilosophie eines Claude François Menestrier (1631–1705), die sich auf die Bild-Text-Hybride der Embleme stützt, unerwähnt bleiben.
Drei Aufsätze verfolgen auf unterschiedliche Weise an jeweils sehr prominenten Beispielen die Transformation des Wissens im Medienwechsel. Die Medienwechsel implizieren hier zugleich ein Unzeitgemäßes des Wissens.
So widmet sich der Beitrag von Christoph Heyl über »Textualität, exotische Klangmagie und Imagination im Kuriositätenkabinett der Tradescant« dem materiellen wie literarischen Nachleben wunderbarer Sammlungsgegenstände. Am Beispiel des ersten öffentlichen Kuriositätenkabinetts, der ab 1629 öffentlich zugänglichen Londoner Sammlung »The Ark« von John Tradescant d.Ä., stellt er die Faszination des Rätselhaften und den Reiz des Unverstandenen bei der öffentlichen Rezeption der exotischen und enigmatischen Sammlungsgegenstände in den Mittelpunkt. Gewissermaßen en miniature wird hier die systematische Trennung von Kunst und Wissenschaft zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert als konkreter Transformations- und Austauschprozess poetischer Energie erzählt.
Heyls Beitrag korrespondiert deshalb auf vielfältige Weise mit jenem von Wolfram Nitsch, der sich dem Sammeln und Schreiben in La Bruyères Les caractères ou les moeurs de ce siècle (1688) widmet, einem für die Sammlungskultur des 17. und 18. Jahrhunderts zentralen Text. Nitsch schildert La Bruyères typengeschichtlich einflussreiche Charakterisierung des Sammlers als einen Umschlagpunkt von der Epistemologie zur Poetologie kollektionistischer Neugierde: Der Sammler, der bei La Bruyère als »unvernünftiger Außenseiter« erscheint, findet sich paradoxerweise in Les caractèresin eine der Kunstkammer affinen Ordnung des Staunenswerten und Kuriosen eingelassen. Ein Argument, welches am Beispiel der Diderotschen Enzyklopädie auch Andreas Gipper verfolgt.
Der enzyklopädischen Systematik als dem »Inbegriff der Lustfeindlichkeit moderner Wissensordnung« hält Gipper die wirkmächtige Entfaltung einer Ästhetik des Irregulären und Monströsen entgegen, die er an dem von Diderot redigierten Artikel zum Cabinet d'histoire naturelle überzeugend zu exemplifizieren weiß. Am Gegenstand der zahlreichen spektakulären Maschinendarstellungen der Enzyklopädie kommt er zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass das Wunder der Technik, d.h. die Unfähigkeit des Betrachters einen Effekt der Technik zu erklären, gerade eine Befestigung des Glaubens an die Kraft der Ratio bedeutet. Dieser Befund, so ließe sich ergänzen, könnte gewissermaßen den Nukleus einer noch zu schreibenden ›Geschichte unzeitgemäßen Wissens‹ darstellen.
Im abschließenden Beitrag von Matthias Buschmeier, der sich Goethes Sammlungs- und Aquirierungspraxis am Beispiel von Gemmen, Statuen und Medaillen widmet, wird auf äußerst anregende Weise der Wechsel zweier Sammlungsideale beschrieben: von der präsentischen Ordnung des Sammlers hin zu einem hermeneutischen Bildungsideal, welches eine dynamisch-edukative Beziehung zwischen Sammlungsobjekt und Bildungssubjekt vorsieht. Einen novellistisch-biographischen Niederschlag findet diese praktologische Entwicklung in der Erzählung »Der Sammler und die Seinigen«. Buschmeier gelingt in seiner Darstellung eine instruktive Schilderung der wechselseitigen Durchdringung von Ding- und Textwelt, von materieller und literarischer Produktion.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Autoren des vorliegenden Bandes den wenigen vorhandenen Forschungsarbeiten zum Verhältnis von Sammlungspraxis und Literatur kein in sich kohärentes neues Deutungsmuster entgegenhalten. Der Charme des vorliegenden Bandes besteht hingegen darin, dass er die von Wolfgang Braungart und Patricia Falguières entwickelten Ansätze nun auf einer überwiegend praxisimmanenten Ebene durch eine Pluralität neuer Interpretationen unterläuft: In den Blick geraten die Verfahrensweisen, Austausch- und Transformationsprozesse, die Dinge und Texte miteinander in Berührung bringen. Der Begriff der Literatur bleibt allerdings - gerade auch mit Blick auf die Publikation von Marjorie Swann, die diesbezüglich keine Überraschungen bietet – leider weitgehend unreflektiert. Dabei verdient bereits der Umstand, dass hier eine Vielzahl von Relationen zwischen Sammlungspraxis und Literatur beleuchtet werden (von motiv- und strukturgeschichtlichen bis hin zu medien- und transformationsgeschichtlichen) und mithin ein sehr weiter Literaturbegriff angesetzt wird, eine positive Erwähnung. Insgesamt bietet das Buch einen wichtigen Beitrag zur Sammlungspraxis der Frühen Neuzeit sowie zur Transformationsgeschichte von Wissen.
Jan Lazardzig in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9, www.sehepunkte.de/2008/09/13121.html

 

 

Die frühneuzeitlichen musealen Sammlungen lieferten mit ihrem integrativen Ansatz ein historisches Modell, das Pluralität, Heterogenität und Differenz in sich vereinigte. Gerade die charakteristischen Verfremdungen und Verschlüsselungen auf der formalen und der semantischen Ebene sowie das Prinzip der Vieldeutigkeit gegenüber der Eindeutigkeit haben seit den 1980er Jahren zu einem andauernden Interesse an diesen Sammlungen geführt. Der von Robert Felfe und Angelika Lozar herausgegebene Sammelband »Frühneuzeitliche Sammlungspraxis und Literatur«, der aus einer Tagung hervorgegangen ist, untersucht die Bedeutung des Sammelns als eine wesentliche Erfahrungs- und Handlungsform mit dem Fokus auf deren performativem Charakter. Einleitend verortet Felfe die verschiedenen Zugänge der Forschung zu diesen Sammlungen. Sie sind Schauplätze sozialen Handelns und zugleich Orte, die – jenseits repräsentativer Strukturen – spezifische Wahrnehmungs- und Empfindungsmuster produzierten. Die Perspektive auf das Sammeln an sich und seinen Repräsentationen soll in Beziehung gesetzt werden zu der Frage, inwiefern in literarischen Texten das Sammeln und der museale Raum reflektiert, organisiert und erweitert wurden.
Chronologisch geordnet umfasst der Band elf Beiträge, die einen Bogen von spätmittelalterlichen Bildquellen bis zu Goethes Sammlungskonzeption spannen. Die Beiträge erörtern die Sammlung – ihre Präsentation und Inszenierung – in verschiedenen Kontexten als ein performatives, das heißt situatives und aufführungsähnliches Geschehen. Vor allem die Kunstkammer hatte seit ihrer Entstehung im 16. Jahrhundert eine Reihe spezifischer Ordnungs- und Inszenierungsstrategien entwickelt, die den Gesamtzusammenhang der Teile darstellten und eine Verhältnismäßigkeit des gesammelten Materials aufzeigten. Das einmal Geordnete konnte erneut bearbeitet und organisiert werden, wodurch die Sammlungen neben ihrer memorativen eine erkenntnistheoretische Funktion erhielten.
Der museale Raum, der traditionell als zeitloser Raum verstanden wird, soll als ein sich vollziehender Prozess begreifbar gemacht werden. Versteht man die Sammlungspraktiken als Teil frühneuzeitlicher gesellschaftlicher Verhältnisse, so haben diese Praktiken konstituierenden Anteil an eben diesen Verhältnissen. Sie bilden sie nicht nur ab oder spiegeln sie wider, sondern produzieren diese unweigerlich mit, das heißt, sie sind Teil der gesellschaftlichen und damit der politischen Verhältnisse.
Die ersten vier Beiträge thematisieren die Aspekte des Sammelns im Hinblick auf den Umgang mit Bildern. Christel Meier spannt einen Kontinuitätsbogen von spätmittelalterlichen Bildüberlieferungen – beispielsweise aus Naturkunde- und Stundenbüchern – bis hin zu Stillleben und Darstellungen von Sammlungskabinetten aus dem 17. Jahrhundert. Dem Bildraum weist Meier dabei die Funktion eines Bühnenraums zu. Die frühneuzeitlichen Sammlungsinterieurs – darunter Stilllebenensembles und Bücher – interpretiert sie als »virtuelle Wunderkammern«. Auch wenn die hergestellte Kontinuitätslinie nicht immer überzeugt, anhand des Bildmaterials erarbeitet Meier mit dem Cluster- oder Streubild, dem gerahmten Register und Rahmengitter sowie dem Parallelbild verschiedene Bildtypen und damit verschiedene Darstellungs- und Inszenierungsformen. Carolin Zöhl untersucht mit der Bibliothek Louises von Savoyen (1476–1531) ein Beispiel literarischen Mäzenatentums von Frauen und interpretiert die Schriften als Schauplatz des politischen und sozialen Handelns. Das Besondere an dieser Bibliothek war, dass sie zum großen Teil Schriften enthielt, die eigens für Louise verfasst und mit komplexen Bildprogrammen ausgestattet waren. Zöhl weist nach, dass die Bildprogramme im engen Zusammenhang mit Louises politischen Ambitionen – Zugehörigkeit zum französischen Königshaus und Thronanwartschaft ihres Sohnes Franz – standen. Barbara Welzel thematisiert in ihrem Beitrag die Grenze zwischen »ausstellen« und »aufführen«. Mit den Stichworten »Verhüllen« und »Inszenieren« untersucht sie die Sammlung als Bühne für ein situatives Geschehen. Ausgehend von einer Passage aus Goethes Bildungsroman »Wilhelm Meisters Lehrjahre« (1795/96) erörtert Welzel das Zusammenspiel von Wahrnehmung, Handlung, Körper und Sprache als Moment der Bedeutungsproduktion anhand verschiedener Bildwerke. Ähnlich wie Welzel schildert Stephan Brakensiek Aufbau und Funktion der druckgrafischen Sammlung des Abbé Michel de Marolles' (1600–1681) im Sinne des Begriffs der Performanz als eine Form der »Äußerung«. Die Aufbewahrung von Grafiksammlungen erfolgte in der Regel in Mappen oder in buchartigen Folianten mit Kleber fixiert. Die Form der Montage ermöglichte das Zusammenstellen von Gruppen sowie die Lenkung des Blicks und der Wahrnehmung. Das Charakteristische an der Sammlung Marolles war die Ordnung nach zu erlernenden Themenkomplexen und die Zusammenstellung nach zusammengehörigen Entitäten. Brakensiek zeigt, dass den Grafiksammlungen neben der memorativen, auch eine erkenntnistheoretische Funktion zukam.
 Die folgenden fünf Beiträge legen den Fokus auf den Zusammenhang von Sammlung und Gesprächs- beziehungsweise Schreibkultur. Am Beispiel des »Colloquium heptaplomeres«, ein Text der Jean Bodin (1529–1596) zugeschrieben wird, erläutert Angelika Lozar den Zusammenhang von Kunstkammer und Gesprächskultur. Lozar zeigt anhand der Bedeutungsverschränkung der Textebenen, dass sich derartige Zeugnisse nicht als Dokumentationen begreifen lassen, sondern dia- und synchron aufeinander Bezug nahmen. Arno Löffler widmet sich den Schriften Thomas Brownes (1605–1682) im Hinblick auf deren Qualitäten als »literarische Raritätenkabinette«. Mit dem Fokus auf »The Garden of Cyrus« von 1658 und dem »Musaeum Clausum«, 1684 nach Brownes Tod publiziert, zeichnet Löffler in den Texten ein essayistisches Schreiben nach, das – nicht auf Vollständigkeit bedacht – Fragen, Beobachtungen, Reflexionen und Autorenzitate aneinanderreihte. Grundlegendes Motiv des »Garden of Cyrus« ist die Raute. Sie bildet als Diagramm und geometrische Figur eine symmetrische und variierbare Rasterstruktur; als potentielle Ordnungsstruktur ist sie in allen Bereichen anzutreffen. Das essayistische Schreiben und die Rautenstruktur entsprechen einer zentralen Eigenschaft der Kunstkammer: die Ordnungs- und Inszenierungsstrategien stellten den Gesamtzusammenhang der Teile dar und zeigten Verhältnismäßigkeiten des gesammelten Materials auf. Ausgehend von diesen Verhältnismäßigkeiten ergaben sich neue Variationsmöglichkeiten, die neue Beobachtungen und Fragen produzierten. Ähnlich wie Löffler beschäftigt sich Christoph Heyl am Beispiel der Londoner Sammlung Tradescant und dem Katalog von 1656 mit textuellen Beziehungen von Sammlung und Literatur. Heyl schildert, wie die im Katalog verzeichneten und stichwortartig erläuterten Objekte einen Kosmos von Phantasiewelten bereitstellten, die die Vorstellung auf vielfältige Weise stimulierten. Den Wörtern lagen die Ursprünge indigener Sprachen zugrunde; oftmals wurden mehrere Sprachen miteinander gemischt, so dass sich exotische Klanggebilde ergaben. Löffler spannt in diesem Zusammenhang den Bogen zu Lewis Carroll und Alan Milne bis zu Joan Rowling. Die im Katalog verzeichnete Sammlung evozierte ein Figuren- und Dingrepertoire auf mehren Vorstellungsebenen, das den Wahrnehmungshorizont des Betrachters nicht nur erweiterte, sondern auch das Abwesende präsent werden ließ. Wolfram Nitsch erörtert die enge Verknüpfung von Sammeln und Schreiben am Beispiel von Jean de La Bruyères (1645–1696) »Les caractères ou les mours de ce siècle« von 1688. Das Spiel mit literarischen Gattungen und Schreibformen zeigt sich hier ebenso wie die Schilderung exzentrischer Sammlercharaktere, die verschiedene soziale Typen darstellen, als ein »Kuriositätenkabinett«. La Bruyères Beschreibung ähnelt dem Charakter nach einem Kabinett, das eine große Nähe zum topografischen wie historischen Mikrokosmos der Kunstkammer aufweist. Andreas Gipper argumentiert am Beispiel von Diderots »Encylopédie«, dass dieses Projekt den Gedanken des Museums auf eine neue Grundlage stellte: nicht nur die Höhepunkte einer Kultur, sondern eine komplette Zivilisation sollte in diesem Großprojekt der französischen Aufklärung vorgestellt werden. Die Entdeckung des Alltags – so Gipper – findet in der »Enzyclopédie« einen wirkmächtigen Vorläufer, das Arbeitsleben erhält gleichsam museale Dignität. Problematisch an Gippers Argumentation ist, dass aus den Ausführungen nicht hervorgeht, was mit »nur die Höhepunkte einer Kultur« oder einer »kompletten Zivilisation« gemeint ist. Welches Zivilisation- oder Geschichtsbild wird hier präfiguriert? Abschließend zeigt Matthias Buschmeier im Spannungsfeld von Abstellen und Aufführen, Verbergen und Enthüllen den performativen Charakter von Sammlungen am Beispiel von Goethes Antikensammlung. Buschmeier zeigt, dass erst der Umgang mit den Gemmen, Statuen und Medaillen, ihre Unterbringung und Zurschaustellung sowie ihre Schilderung in Textform den Objekten ihre Bedeutung zuschrieb. In der Sammelungs- und Inszenierungspraxis wird die künstlerische Produktion von Bedeutung als Produktion von Zeitlichkeit sichtbar, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Beziehung zu einander gesetzt werden.
Der Sammelband ermöglicht in seiner Vielfalt eine neue Akzentuierung des Blicks auf die Sammlungsgeschichte. Als fruchtbar erweist sich der Dialog zwischen den Bereichen Sammlung und Literatur. Es entsteht ein facettenreiches Bild der verschiedenen Spielformen und Praktiken, auch wenn das Konzept der Performativität nicht immer ausreichend und überzeugend erörtert wird. Im Wissen um die Kontingenz einer Sammlung beschreiben die Autorinnen und Autoren die Sammlungspraxis und die literarischen Reflektionen als einen offenen, von stetiger Beweglichkeit gekennzeichneten Prozess.

Barbara Segelken in H-ArtHist, 27.11.2007, URL: http://www.arthist.net/DocBookD.html