Dirk Schumann (Hg.)
Bauforschung und Archäologie
Stadt- und Siedlungsentwicklung im Spiegel der Baustrukturen
Am Anfang war die Baustruktur.
So ließe sich die gemeinsame Geschichte von historischer Bauforschung
und Archäologie beginnen. Es folgte jedoch eine sowohl parallel als
auch divergent verlaufende Entwicklung von Forschungs- und
Dokumentationsmethoden, so daß schon im 18. Jahrhundert eine Grenze
über das Objekt der Forschungsbegierde verlief, es in »Bau« und »Boden«
teilte. Diese imaginäre Demarkationslinie »Über-dem-Boden / im-Boden«
hat zwei autarke wissenschaftliche Disziplinen hervorgebracht, deren
Trennung sich (zumindest in der Bundesrepublik Deutschland) bis in den
Alltag der praktischen Denkmalpflege zieht. Neben unbestreitbar
erfolgten Spezialisierungen der Methoden der Forschung und
Dokumentation half diese zeitweise wohl gepflegte Trennung so manchen
größeren Sinnzusammenhang zu vernebeln. Diesem Mißstand abzuhelfen ist
das bereits im Vorwort erklärte Ziel des Herausgebers Dirk Schumann und
der Autoren.
Am Beginn des Buches stehen methodisch-theoretische Betrachtungen über
die bereits vorhandenen Schnittstellen und möglichen gemeinsamen
Fragestellungen beider wissenschaftlicher Ansätze. Dabei erscheinen
Notwendigkeit und Nutzen der Verknüpfung so sinnfällig, daß die bisher
selten vorgefundene Durchführung beinahe verwundern muß. Vielleicht ist
deswegen zur Ermutigung der ganz überwiegende Teil des Buches der
Praxis gewidmet. In drei Abschnitten werden exemplarisch Arbeitsweisen
aufgezeigt, die in beiden Fächern angesiedelt sind und wo die
Verknüpfung zu einem breiteren und präziseren Wissen über historische
Bausubstanz geführt hat. Die Palette reicht dabei von einzelnen
Materialuntersuchungen, wie z.B. histori-schen Putzen, bis hin zu
städtebaulichen Strukturen in Stadtkernen, von naturwissenschaftlichen
Datierungsmöglichkeiten bis zu modernen Darstellungstechniken. Aus
diesem Ansatz brechen nur die Beiträge von Stefanie Wagner und Blandine
Wittkopp zur Befunddokumentation im jeweils separaten Bereich von
Bauforschung und Archäologie aus, die man sich im Hinblick auf das
Anliegen des Buches vielleicht kombiniert und untereinander abgeglichen
gewünscht hätte. Die Stärken des Buches sind in den anschaulichen, weil
bereits umgesetzten, Fallstudien zu sehen.
Im Fazit scheint es außer Zweifel, daß aus der sinnvollen Kombination
der Disziplinen mehr als die Summe der einzelnen geschöpft werden kann.
Da das Maß der Erhaltung von historischer Substanz stets vom
Werteverständnis und Erhaltungswillen der am Bau Beteiligten abhängt,
muß Denkmalpflege immer von umfassender Kenntnis profitieren. Insofern
darf man das Buch sicher als Aufforderung für die Umsetzung im
denkmalpflegerischen Alltag der Bauuntersuchung sehen. Der vorliegende
Band beschränkt sich (aus verständlichen Gründen) auf die Problematik
der Erforschung an sich und spart die brisante Fragestellung aus, wie
die Denkmalpflege mit der Fülle an Informationen umgeht bzw. umgehen
kann.
Die Frage, ob die fast erdrückende Quantität historischer Schichten bei
oftmals schwierig gegeneinander abzuwägender Qualität lähmt,
unreflektierten Erhalt oder Reduktion des Bestandes auf eine
vermeintlich vollständigste oder gar ursprünglichste Schicht bewirkt,
dürfte aus Sicht der an Denkmalpflege Beteiligten von großem Interesse
sein. Vor dem Hintergrund der bundesweit anzutreffenden Tendenzen zu
Strukturveränderungen in den Landesdenkmalämtern erscheint ein Ausloten
der möglichen Synergien von Bau- und Bodendenkmalpflege aber auch der
strukturierte Umgang damit als dringendes Desiderat. Die Zeit ist reif
und der Weg bereitet, einige trennende Aspekte der Disziplinen
Bauforschung und Archäologie hinter sich zu lassen und, soweit
sinnvoll, zu den gemeinsamen Wurzeln der Baustrukturen zurückzukehren.
S. H. in »Denkmalschutz und Denkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern«, Heft 10/2003, S. 69/70